Essen. Der Skandal um den Nachmaler Wolfgang Beltracci, der im Herbst 2011 wegen eingestandener Fälschungen in 14 Fällen verurteilt wurde, hat an den Bedingungen auf dem deutschen Kunstmarkt nichts verändert, sagen Experten: Nach wie vor verschließen Kunsthändler mit Macht die Augen vor verdächtigen Werken.

Der Kenner ahnte die Fälschung schon von weitem: Als der Bottroper Museumsdirektor Heinz Liesbrock im April 2010 über die Art Cologne spazierte, hatte die international renommierte Galerie Thomas ein bislang unbekanntes, quadratmetergroßes Gemälde von Josef Albers im Angebot: 1,2 Millionen Dollar sollte „Spring Tide“ kosten. Für Liesbrock, als Chef der weltweit größten Albers-Sammlung im Bottroper „Quadrat“, ein Pflichtbesuch.

Das Bild hatte kurz zuvor schon vier Tage auf der New Yorker „Armory Show“ zum Verkauf gestanden, ebenso auf der „Art Basel Miami Beach“ und der hoch angesehenen Tefaf-Messe in Maastricht. Doch Heinz Liesbrock war der erste Messebesucher, der misstrauisch wurde: die Kombination aus Blau und Pink sah ihm nicht nach Josef Albers aus, und dann war auch noch die Farbe viel zu glatt und regelmäßig aufgetragen.

Die Polizei beschlagnahmte die Fälschung noch am selben Tag, Wie sich später herausstellte, hatte schon ein Experte wie Nicholas Fox Weber, Chef der Albers-Stiftung in den USA, 1999 in Briefen gewarnt, „Spring Tide“ sei kein Gemälde von Josef Albers. Doch ein Bonner Museumsdirektor schlug diese Expertise in den Wind; eine Düsseldorfer Galeristin verfuhr mit dem Gutachten eines Münchner Instituts, das den Fälschungsverdacht noch erhärtete, ganz ähnlich.

Vermutlich brachte Beltracci 200 Nachahmungen in Umlauf

Eine Episode nur, und für erfahrenen Kunst-Journalisten Reinhard Müller-Mehlis nur eine von unzählig vielen Fälschungs-Geschichten, die er in seinem aktuellen Buch „Tatort Kunstmarkt“ etwas unsortiert Revue passieren lässt. Müller-Mehlis kommt jedenfalls zu demselben Schluss wie die Fallstudie von Stefan Koldehoff und Tobias Timm zum spektakulären Fälscher-Skandal rund um den genialischen Maler Wolfgang Beltracci, der seit dem Herbst 2011 in Euskirchen seine sechsjährige Gefängnisstrafe absitzt – im offenen Vollzug. Verurteilt wurde Beltracci lediglich wegen 14 Fälschungen, die ihm 16 Millionen Euro einbrachten und einen Gesamtschaden von 34 Millionen Euro verursachten. Dabei wird vermutet, dass Beltracci im Laufe von 35 Fälscher-Jahren mindestens 200 „Nachahmungen“ in Umlauf gebracht haben soll – was ihm unter anderem ein 28-Hektar-Weingut in der Nähe von Montpellier und eine Luxus-Villa im sonnigen Freiburg einbrachte.

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Doch weder die geschädigten Sammler noch die blamierten Gutachter und Galeristen, die Fälschungen nicht erkannten hatten ein Interesse daran, alle Fälle aufzuklären – und den Strafverfolgungsbehörden wie der Justiz schien es ganz recht zu sein, dass ihnen durch Beltraccis Geständnis in 14 Fällen um aufwändige Ermittlungen und Verhandlungen erspart blieben.

Kein Straftatbestand der Kunstfälschung im deutschen Recht

Die Folge: Bis auf den heutigen Tag hat sich an Zuständen auf dem Kunstmarkt, die den Fall Beltracci erst möglich machten, nicht das Mindeste geändert. Weiterhin verdrängen Galerien so lange es nur irgend geht jeden Fälschungsverdacht, wie es das Kölner Kunsthaus Lempertz im Fall Beltracci tat; weiterhin sind Gutachter prozentual an den Weiterverkäufen von Gemälden beteiligt wie der Max-Ernst-Fachmann Werner Spies, der ehemalige Direktor des Pariser Centre Pompidou, der als Gutachter die Echtheit von gefälschten Max-Ernst-Gemälden bescheinigte, deren Ankauf er dann später als Berater von Sammlern befürwortete.

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Die jüngsten Fälle eines russischen Fälscherrings, der Ost-Moderne im Westen in Umlauf brachte, oder rund um die angesehene New Yorker Galerie Knoedler, für die ein chinesischer Maler Werke von Jackson Pollock, Mark Rothko und anderen Heroen der US-Kunst gefälscht haben soll, sind ähnlich wie Beltracci offenbar nur die Spitze eines Eisbergs. Die Schätzungen, wie hoch der Anteil von Fälschungen im Kunst- und Antiquitätenhandel ist, liegen zwischen zehn und 60 (!) Prozent.

Trotzdem gibt es bis heute im deutschen Recht keinen Straftatbestand der Kunstfälschung. Wer derlei vor Gericht bringen will, muss vorsätzlichen Betrug oder – bei signierten Gemälden – Urkundenfälschung nachweisen. Der Besitz von Fälschungen ist jedenfalls genauso straffrei wie deren Anfertigung, erst der Handel damit wird – von wenigen Experten – verfolgt. Und während in Frankreich wenigstens die Künstler selbst das Recht haben, Fälschungen ihrer Werke zu vernichten (was etwa Marc Chagall mit großer Hingabe durch Verbrennungen erledigte), lässt das deutsche Recht vollkommen offen, was mit einmal erkannten Fälschungen denn zu geschehen habe. So ist die angeblich von Josef Albers stammende „Spring Tide“ inzwischen im Besitz der amerikanischen Albers-Stiftung und dient als Anschauungsobjekt für Kunstexperten und deren Ausbildung.