Essen. Der Architekt und Stadtplaner Rainer Metzendorf im Interview. Der Enkel von Georg Metzendorf trat in die Fußstapfen seines Großvaters.

Ihr Großvater Georg Metzendorf gehörte in den 1910er und 20er Jahren zu den Protagonisten der deutschen Architektur. Wird er Ihrer Ansicht nach in Essen zu sehr auf die Margarethenhöhe reduziert?

Rainer Metzendorf: Absolut. Essen war deutschlandweit in den 20er Jahren auf jeden Fall schon Kulturhauptstadt. Das Schaupielhaus meines Großvaters von 1924 an der Hindenburgstraße hatte damals die modernste Technik des Reiches. Die Essener Kunstgewerbeschule unter Alfred Fischer mit Dozenten wie Thorn-Prikker, Josef Enseling oder Albert Renger-Patzsch kann man mit Fug und Recht als Vorläuferin des späteren Bauhauses sehen. Und zwischen 1900 und 1930 erlebte Deutschland eine der spannendsten Architektur-Epochen, da war mein Großvater mittendrin. Ausgehend vom Jugendstil in Darmstadt vollzog sich nach dem 1. Weltkrieg bei ihm ein Wandel zur Moderne, zur Avantgarde. Er war mit Entwürfen für Siedlungshäuser auf der Brüssler Weltausstellung vertreten, baute in ganz Deutschland. Die Margarethenhöhe war weniger modern hinsichtlich Bauformen, dafür aber in ihrem Gesamtkonzept innovativ. Vieles, wie die Abstandsregelungen, wurde später sogar in die preußische Bauordnung aufgenommen.

Wäre so etwas wie die Margarethenhöhe heute noch möglich und sinnvoll?

Metzendorf: Mit Sicherheit. Die Ideen von zeitgemäßem Bauen unter Aspekten von Enegieeffizienz, der Verbindung aller handwerklichen Disziplinen und Landschaftsgestaltung propagiert man längst wieder. Der Süden ist da fortschrittlicher. Beispiele in Bayern, Österreich oder experimentelle Wohnsiedlungen in Freiburg mit neuartigen Verkehrskonzepten zeigen das.

Warum lieben Menschen die Margarethenhöhe, nicht aber das Hörsterfeld?

Metzendorf: Es ist wohl der menschliche Maßstab dieser Gartenstädte, der Menschen anspricht. Das reicht vom Material, Größe und Optik bis hin zum Geruch, den ein bewusst platzierter Lindenbaum ausströmt. Architekten wie mein Großvater „inszenierten” die Siedlungen zusammen mit einem Grünkonzept. Obwohl die Margarethenhöhe dichter gebaut ist, als eine Hochhaussiedlung folgt sie doch dem Leitbild des humanen Städtebaus.

Wie beurteilen sie als Architekt und Stadtplaner die architektonische Situation heute in Essen?

Metzendorf: Essen machte Städtebau lange wie Patchwork. Es fehlten großräumige Entwürfe. Das änderte sich erst mit dem Plan zum Kruppgürtel. Das ist ein Zeichen, das auch Wahrzeichen werden könnte. Allein schon, weil man dort die Umgebung, den ,Genius loci' einbezieht. Eher negativ sehe ich den Einkaufskomplex am Limbecker Platz. Warum hat man da nicht Büros wie Chaix et Morel oder Chipperfield herangezogen. Eine Planungs-Chance für die Stadt sind weiterhin ihre Brachflächen, aber auch die Einbeziehung vorhandener Grünflächen. Das Stichwort müsste lauten: Qualitätvolle, bezahlbare Wohnungen statt Büroraum, auch innerstädtisch. Andere Städte machen das längst.

Sind die Ideen Ihres Großvaters noch aktuell?

Metzendorf: Vor allem, was das Denken in lokalräumlichen Bezügen und typischen Formen und Materialien angeht. Auch Architektur wurde global, austauschbar. Es gibt doch nicht nur Glas und Stahl. Vielleicht sollte man Georg Metzendorf und seine Zeitgenossen einmal umfassend präsentieren...

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