Essen. . Ein aktuelles Buch lädt ein, eine Region und ihre Landmarken neu zu entdecken, die auch vom seit Jahrzehnten andauernden Strukturwandel zeugen. „Das unbekannte Ruhrgebiet“ von Hans-Peter Noll und Rolf Kiesendahl.

Als Heinrich Böll 1958 in seinem Vorwort zu einem Fotobuch des Kölner Fotografen Chargesheimer feststellte, das Ruhrgebiet sei „noch nicht entdeckt“ worden, boomte die Montanregion noch. Inzwischen ist die Stahlproduktion auf Duisburg und der Steinkohleabbau auf Bottrop und Marl begrenzt. Wenn auch diese beiden letzten Zechen 2018 geschlossen werden, endet eine fast 300-jährige Industriegeschichte, die tiefe Spuren in den Landschaften und Menschen hinterlassen hat. Das Ruhrgebiet muss sich dann wieder neu erfinden.

Der „Strukturwandel“, der die Region im Grunde schon seit den 60er-Jahren beschäftigt, benötigt Ausdauer und regelmäßige Ermunterung. Dazu sind Bildbände mit informativen Texten besonders geeignet: als Selbstvergewisserung für die in diesem Ballungsraum lebenden fünf Millionen Menschen, dass allen wirtschaftlichen und sozialen Problemen zum Trotz viele Weichen in die Zukunft erfolgreich gestellt worden sind, aber auch als gedruckte „Landmarken“ an die auswärtigen Beobachter, dass das klischeebehaftete Ruhrgebiet heute unter seinem „blauen Himmel“ zahlreiche hochattraktive Orte anzubieten hat und den Besuch immer wieder lohnt.

Auch diesem Buch, das in einem Hamburger Verlag erschienen ist, wünscht man möglichst viele Leser in ganz Deutschland. Denn es gelingt den beiden Autoren, die Liebe zu ihrer Heimat so hingebungsvoll zu begründen, dass man sich gerne direkt vom Schreibtisch aus auf eine Entdeckungsreise entlang der Ruhr, der Emscher, der Lippe und zum Niederrhein begeben würde.

Hans-Peter Noll, 1959 in Datteln geboren, ist seit 2000 Vorsitzender der Geschäftsführung der RAG Montan Immobilien, Rolf Kiesendahl, 1952 in Mülheim geboren, war mehr drei Jahrzehnte als Redakteur der WAZ ein treuer Wegbegleiter der Region. Beide sind selbstbewusst genug, um auch die Schwächen des Ruhrgebiets genau zu benennen. Ihre pointierte Darstellung, angereichert mit vielen ausdrucksstarken Fotos, stiftet allerdings genau das, was der Region am meisten fehlt: die gemeinsame Identität, die zwar in der Vielfalt der Städte, Landschaften und Kultur(en) liegt, aber unbedingt als Einheit in Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu verstehen ist.

Reizvolle Ausflüge

Das muss vor allem die Politik auf der Ebene der 53 Kommunen und des Landes lernen, die bis heute eine „Metropole Ruhr“ verhindert. Wahrnehmen sollte es jedoch auch die Bevölkerung, die immer noch zu stark im Stadtteildenken verhaftet bleibt und sich viel zu selten auf den Weg in die Nachbarstädte macht.

Wie reizvoll solche Ausflüge sein können – gerade auch jenseits der bekannten Industrie-Ikonen, lässt sich in diesem schön gestalteten Buch entdecken.

Hans-Peter Noll/Rolf Kiesendahl: Das unbekannte Ruhrgebiet. Ellert & Richter, 128 S., 16.95 €