Bochum. Mit David Bösch verabschiedet sich eine Größe als Hausregisseur des Bochumer Theaters. Und auch die Schauspielerin Maja Beckmann geht. Beide stehen für die Qualität einer aktuellen Premiere. Bewegendes Theater ist zu sehen in „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“.
Als vorerst letzte Bochumer Regie-Arbeit wagt sich David Bösch in den Kammerspielen an eine Bühnenversion von Aki Kaurismäkis Film „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ – und gewinnt auf ganzer Linie. Dank eines schlüssigen Konzepts und einer großartigen Hauptdarstellerin: Maja Beckmann.
Bösch hat auf der als triste Fabrikhalle aufgezogenen Bühne (Franziska Gebhardt) eine atmosphärisch-stimmige Version des melancholischen Kino-Klassikers von 1990 hinbekommen, wobei er die Film-Motive ganz bewusst nicht einfach kopiert, sondern in neuen, starken Bildern bühnengerecht aufnimmt. Ein gewisser Hang zu Düsternis und Schwermut ist Böschs Arbeiten immer zu eigen, und so passt ausgerechnet dieses traurige finnische Märchen perfekt zu ihm.
Ein Kosmos des Scheiterns
Vor den Augen eines am Ende sichtlich berührten Publikums entfaltet Bösch einen romantisch-innigen Kosmos des Scheiterns, in dem die arme Iris, das Mädchen aus der Streichholzfabrik, an ihrer Sehnsucht und an den Menschen scheitert. Ihr Arbeitsleben stellt sich dar als buchstäbliches Abstrampeln an einer sinnlosen Maschine, ihre Familie besteht aus dumpfen Medikamenten und Fernsehjunkies (böse Klischee-Abziehbilder: Anne Knaak und Matthias Redlhammer), ihr Bruder (herrlich fies: Daniel Stock) träumt tatenlos von der Revolution.
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Muffig wie ihr Leben ist der Bühnenraum, der einen penetranten Geruch von feuchtem Rindenmulch verströmt. Friedhofsgeruch. Verstoßen und verlassen von allen, bringt Iris am Ende ihren Vater, ihre Mutter und ihren Liebhaber um. Bösch entwickelt diese Geisterbahnfahrt der Gefühle als eine fast sprachlose, von Gesten und Blicken lebende Pantomime der Verlorenheit, die gerade in ihrer Sprachlosigkeit beredt wirkt.
Maja Beckmann wächst über sich hinaus
Getragen wird der Abend von Maja Beckmann, die in ihrer letzten Bochumer Rolle, bevor sie ans Staatstheater Stuttgart wechselt, über sich hinauswächst. Sie haucht der Iris, die doch nichts anderes fordert von dieser schnöden Welt als ein bisschen Liebe und Zuwendung, eine so anrührende Zärtlichkeit ein, dass man dieser verlorenen Seele sogar einen dreifachen Mord verzeihen möchte. So sinnlich war Theater selten.