Essen. Wir kennen den Dänen vor allem als Chronisten dunkler Krimis aus dem Norden. Neu auf dem deutschen Markt ist sein „Washington Dekret“. Der Thriller, über einen außer Rand und Band geratenen US-Präsidenten ist nicht ohne prophetische Züge.

Ist das nicht das Amerika, das wir uns wünschen?: Ein Präsident, der Waffennarren die Patronen wegnimmt? Brandaktuell, denkt der Leser von Jussi Adler-Olsens „Washington-Dekret“ - bis er das Jahr der dänischen Erstauflage entdeckt: 2006.

Der Kopenhagener Jussi Adler-Olsen lieferte mit Washington-Dekret einen ziemlich saftigen Thriller ab.
Der Kopenhagener Jussi Adler-Olsen lieferte mit Washington-Dekret einen ziemlich saftigen Thriller ab. © Getty Images

So möchte man dem mordenden Nordmann, den „Erbarmen“, „Erlösung“ etc. wochenlang in deutsche Bestsellerlisten katapultierten, begnadete Prophetie attestieren. Aber ein Obama ist es nicht, den Adler-Olsen das amerikanische Tabu brechen lässt. Mister President, ein gewisser Bruce Jansen, hat andere Pläne: „Ein Land, in dem alle Arbeit haben und die Gefängnisse leer stehen.“ Wunsch eins: nett. Wunsch zwei: Wie soll das gehen? Generalamnestie!, sagt Jansen und tut’s. Nur Hinrichtungskandidaten bleiben drin, aber nicht mehr so gähnend lange. Schließlich kostet ein Tag in der Todeszelle 55 Dollar, die Chemiespritze aber nicht mal 100...

Und plötzlich sind alle Knastbrüder auf freiem Fuß

Nun ist dieses Horrorszenario, in dem hunderttausende Knastbrüder von heute auf morgen das Land der unbegrenzten Möglichkeiten aufmischen, gewiss konstruierter Kitsch. Adler-Olsen aber koloriert die Skizze des Unwahrscheinlichen mit satten Lebens-, nein Todesfarben. Attentäter nahmen dem Präsidenten zwei Frauen.

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Jansens bizarre Forderung nach einem Überwachungsstaat neben dem „selbst die gute alte Sowjetunion ziemlich blass dasteht“, das Ende privaten Waffenbesitzes und vieles mehr, rechtfertigen das Ende der Verfassung leicht. Es fliegt ja auch noch der Justizminister in die Luft, die Oma eines hohen Mitarbeiters wird samt Enkelin vergewaltigt, der Präsident selbst entgeht einem Attentat - und dann turnt noch der „Dachmörder“ über die Giebel der Stadt und schießt brave Bürger wie Spatzen von den Ästen.

Was schreibt Adler-Olsen denn da? Schund? Klar. Düster-Entertainment? Selbstredend. Verschwörungsbrei mit Westerndialogen? Sicher. Doch so sehr sich entnervt abwenden wollte, wer auf Sätze wie „Ein Wort, und ich mache ihn kalt!“ stößt, so beschämt ertappt er sich möglicherweise dabei, schon weit mehr als die Hälfte der knapp 660 Seiten gefressen zu haben.

Adler-Olsen - Konkurrenz für Grisham & Co.

Tja, John Grisham und Dan Brown: Da kommt ein Kopenhagener und legt einen ziemlich saftigen, gut recherchierten, haarsträubend überladenen Polit-Thriller hin.

Allein, dieses Können ist vielleicht sein größter Schwachpunkt: Wer das Genre kennt, wird kaum als Überraschung goutieren, wie selten Weißen Häusern weiße Westen eignen. Dennoch Respekt! Auch solche Schinken muss man räuchern können.

J. Adler-Olsen: Das Washington-Dekret. dtv, 656 Seiten, 19,90