Erst im Biedermeier begann der Erfolg der Texte, die Jacob und Wilhelm Grimm sammeln ließen.
Für die Buchhändler waren die „Kinder- und Hausmärchen“ der Grimms, als sie am 20. Dezember 1812 herauskamen, zuerst ein Flop. Erst die zweite Auflage sieben Jahre später, in der etliche Märchen dazugekommen waren und viele anstößige Stellen geglättet wurden, verkaufte sich in den Biedermeier-Haushalten der Zeit. Seither gehören viele der rund 200 gesammelten Märchen tatsächlich zum kollektiven Bewusstsein. Und zwar weltweit – fast so weit verbreitet wie der Rekordhalter im deutschen Kulturgut, die Lutherbibel.
Sechs Jahre lang hatten die gelernten Juristen Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859) Grimm Dutzende von Freunden (die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, der Maler Philipp Otto Runge u.a.) in Deutschland mündlich überlieferte Märchen sammeln lassen, angeregt von der romantischen Verehrung für „Volkspoesie“, Clemens Brentano und Achim von Arnim, die zuvor schon in „Des Knaben Wunderhorn“ ähnliches versucht hatten, zählten zu ihren Freunden.
Jacob und Wilhelm Grimm, die Begründer der Germanistik, waren zeitlebens davon getrieben, die politisch nicht vorhandene Einheit Deutschlands auf kulturellem Wege herbeizuführen. Davon zeugt nicht nur Jacobs „Deutsche Grammatik“ und seine „Deutsche Mythologie“, mit er er die Sagenwelt der Germanen rekonstruierte. Das Hauptwerk der Grimm-Brüder war ihr „Deutsches Wörterbuch“, das erst 1960, 122 Jahre nach ihrem Beginn, fertig wurde und auf 33 Bände angewachsen war.
Die gesammelten Stoffe, unter denen auch etliche Schwänke, Sagen, Legenden und Witze waren, wurden von den Grimms so bearbeitet, wie sie sich Volkspoesie vorstellten: Widersprüche wurden bis ins Klischeehafte hinein geglättet, allzu Drastisches und Zotiges in mildere Farben getaucht oder entfernt. Mord- und Totschlag, seelische Grausamkeiten und Schrilles enthalten die „Kinder- und Hausmärchen“ aber immer noch zuhauf. Ihrem weltweiten Erfolg bis ins digitale Zeitalter hinein hat das keinen Abbruch getan.