Essen. Alice Schwarzer - Deutschlands vorderste Feministin - feiert am 3. Dezember ihren 70. Geburstag. Ihr kämpferischer Einsatz hat für Frauen in Deutschland vieles möglich gemacht - heute aber schießt sie oft übers Ziel hinaus.

Heute wird der Feminismus in Deutschland 70 Jahre alt. Geboren wurde er, nein: sie natürlich, am 3. Dezember 1942 in Wuppertal. Herzlichen Glückwunsch, Alice Schwarzer!

Stellen wir uns vor, wie es wäre, wenn Helmut Kohl noch an der Macht wäre. Wenn er sich in jede Debatte einmischen würde, polemisch, lautsprecherisch. Wenn er nicht müde würde, auf seine Leistungen hinzuweisen. Wenn er Jüngeren harsch über den Mund fahren würde, sobald sie sein Erbe in Frage stellen. Ungefähr so ist das mit der Frontfrau der Feministinnen, allerdings: Wer will sich heute noch Feministin nennen, wenn die Debatten (neben dem öden Quoten-Getöse) sich im Kern nur noch darum drehen, ob sich die Nachgeborenen – Autorinnen wie Charlotte Roche oder Politikerinnen wie Kristina Schröder – der Göttinenlästerung schuldig machen?

Als Alice Schwarzer 1975 „Der kleine Unterschied“ veröffentlichte, 1977 die Zeitschrift „Emma“ gründete, da waren das tatsächlich bewusstseinserweiternde Meilensteine. Wie immer man über Schwarzers Kampagne „Wir haben abgetrieben“ im Stern, ihr Wettern gegen die „Zwangsheterosexualität“ denken mag: Ihr kompromissloses Auftreten hat ein Klima (mit-)geschaffen, in dem vieles möglich wurde.

Stets hat Alice Schwarzer ihren Kampf auch gegen Frauen geführt

Im vergangenen Jahr hat Alice Schwarzer ihre Biografie veröffentlicht. Sie offenbart darin ihr Lebensgefühl: zwischen allen Stühlen zu sitzen, im Privaten wie im Politischen. Denn stets hat sie ihren Kampf auch gegen Frauen geführt. Gegen Mitschwestern, die ihren Minirock skeptisch beäugten. Gegen Frauen, die auf Redelisten beharrten. Wo doch Schwarzer so viel zu sagen hatte! Auch privat lebt Schwarzer im Dazwischenraum: In ihrer Autobiografie schreibt sie erstmals über ihre Bisexualität und ihre „offene, aber nicht öffentliche“ Beziehung zu ihrer Lebensgefährtin.

Ob hier der Schlüssel zu den vielen Widersprüchen ihres Handelns liegt? Man kann ja kaum verstehen, warum sie einst gegen die „sexistischen“ Fotos von Helmut Newton zu Felde zog – um dann später für die an nackten Damen nicht arme „Bild“ Werbung zu machen und zu schreiben: über den Kachelmann-Prozess. In dem aber wieder Frauen pauschal die wehrlosen Opfer waren. Ist das nicht, mit Verlaub, doppelt paradox?

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Es ist dieses Aufmerksamkeitsheischen um jeden Preis, das Alice Schwarzer so nervig macht. Womöglich ist sie tatsächlich, wie Miriam Gebhardt im Buch „Alice im Niemandsland“ behauptet, mitverantwortlich, dass die „Frauenbewegung die Frauen verlor“. Eine Nachfolgerin für Schwarzer ist jedenfalls nicht in Sicht.

Frauenbewegung verliert an Boden

Dabei verliert die Frauenbewegung auch Boden, der längst gewonnen schien. Von der „Pinkifizierung“ kleiner Mädchen über Topmodel-Schauen und dem ganz normalen Alltags-Sexismus bis hin zu ungleichen Löhnen gäbe es genug Kampagnen-Stoff. Aber der heutigen Frauengeneration scheint es zu genügen, nur noch aus eigenem Erleben heraus zu agieren. Denken wir an Bascha Mikas Feldzug gegen Latte-Macchiato-Mütter oder die Nabelschau der „Alphamädchen“ – die Bloggerinnen der „Mädchenmannschaft“ haben sich längst heillos zerstritten. Und die Frauen-Forscherinnen an den Universitäten, die vielleicht Strukturen und Mechanismen aufdecken könnten, kommen aus dem verkopften Unibetrieb nicht heraus.

Es bräuchte eine Frontfrau, die über sich selbst hinausdenken kann. Eine, die Gender-Theorien und Persönliches zusammenbringt, in Politik zu übersetzen versteht. Eine, die noch dazu so frech, so vorlaut ist – wie es Alice Schwarzer damals war.