Dresden. Bis zuletzt nahm er am Konzertleben teil, hatte trotz schwerer Krankheit das Komponieren nicht aufgegeben. Jetzt ist Hans Werner Henze im Alter von 86 Jahren gestorben. Der gebürtige Westfale war einer der großen seines Fachs.

Da stirbt dieser Deutsche, der aus Überzeugung seit fast 60 Jahren in Italien lebte, nun doch: in Dresden. Die Schicksalswendung am Lebensende von Hans Werner Henze ist symbolträchtig. In der Brust dieses großen Komponisten wohnten immer zwei Seelen.

Italien, das war Schöpfertum und Leichtigkeit, ein Lebensstil, der Nuancen eines Renaissancefürsten aufwies. Italien: Licht, Farbe und vor allem jene unverbrüchliche Einheit von Kunst und Schönheit, die Hans Werner Henzes Musik noch in ihren abgründigsten Momenten nicht ablegen konnte. Nicht ablegen wollte.

Ein Musiker von enormer Disziplin

Deutscher aber blieb er auch in den Albaner Bergen. Henze, der Noble, für manche sicher auch Snob, wusste natürlich, dass eben dort die Aristokraten des Alten Rom ihre Refugien zu haben pflegten. Doch wer ihn arbeiten sah, wer Henze über Musik sprechen hörte, der nahm einen Deutschen von enormer Disziplin wahr, alles abfordernd – sich selbst und denen, die ihm folgen wollten.

Wohl wahr: Forsch Vorwärtsdrängenden war er ein Rätsel. Neues zu schaffen, das hieß für Henze nicht Zwölftonmusik. Es war eine Suche nach neuer Meisterschaft, ohne Klassik und Romantik zu verhöhnen. Wer Henzes Werke – seien es die zehn Sinfonien oder Opern – je hören durfte, weiß, wovon die Rede ist. Mit Neoklassizismus ist das schlagworthaft schal benannt. Klangzauber, ja die Verführbarkeit des menschlichen Ohrs galt ihm als nichts Peinliches. Henzes Mittel, im Heute zu komponieren, waren von bezwingend ausgeklügelter Ästhetik. Gegner brachte das auf die Palme. Neider und Minderbegabte sollen auch unter ihnen gewesen sein. Die Bilderstürmer der Tonkunst haben Henze später gern kritisiert. Hatten sie vergessen, wie ereinst an den ersten Opernhäusern des Landes – fast als Pionier — all die bildungsbürgerliche Ablehnung erduldete, ja ihr geradezu schöpferisch standhielt?

Ein Humanist mit viel Respekt vor den Alten Meistern

Henzes Leben beginnt 1926 im ländlichen Westfalen. Der Vater ist strammer Nazi. Henze leistet ihm früh Widerstand. In den letzten Monaten des Krieges rufen Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht. Sie impfen Henze. Ein Leben lang verachtet der Humanist Krieg und totalitäre Strukturen.

Schönberg und Fortner sind neben den Alten Meistern wichtige Wegweiser. Manchen Künstlerkollegen ist er zu traditionsbewusst, die Gesellschaft wiederum irritiert seine Nähe zu linken Ideen. Später beherbergt Henze in Rom Rudi Dutschke. Jawohl, er, Henze, ist Kommunist! Es soll damals Bürger gegeben haben, die ob solcher Bekenntnisse ihren Plattenschrank neu sortierten. Henze fiel raus.

Wer an Henzes Schaffen denkt, denkt an Ingeborg Bachmann. Sie war die andere Hälfte der großen Freundschaft zweier Außenseiter. Der selbstbewusste Homosexuelle und die schreibende Frau, die sich dem Würgegriff aller Berechenbarkeit blitzgescheit entzog, lebten zusammen in Italien. Sie schrieb ihm Opern-Libretti („Der junge Lord“), gemeinsam schufen sie „Lieder von einer Insel“. Welch ein Titel für dieses Leben, das Kunst und Seelenfreundschaft vor der verständnislosen Masse schützen konnten.

Kein Tag ohne Komponieren

Mögen die drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg Henzes schöpferisch bedeutsamste Zeit gewesen sein: Ein Tag ohne Komponieren war ihm lebenslang ein verlorener. Der Weltbürger aus Gütersloh hinterlässt der Musikliteratur ein Riesenwerk. Noch 2010 ehrte ihn die Ruhrtriennale. Schon schwer von Morbus Parkinson und anderen Gebrechen gezeichnet reiste er an. Ein Herr, der geduldig und wach sah, was es zu sehen gab: seine Oper „Gisela!“

Wer sich seiner erinnert, wird bei Hans Werner Henze an unglaublich zarte Musik denken, zugleich dürfte er unerbittliche Percussion im Ohr haben. Aber auch als Ironiekünstler feinsten Floretts sollte man ihn nicht vergessen. Auf die Frage, was das Unvernünftigste sei, was er je getan habe, antwortet der kluge Greis erst unlängst: „einigen Kretins das ,Du’ anzubieten“.