Essen. Posaune statt Patient, Taktstock gegen Stethoskop: Über 600 Mitglieder hat das „World Doctors Orchestra“. Jetzt spielen die Musiker in Deutschland. Es gibt nur zwei Auftritte, einer davon in Essens Philharmonie

Der Dirigent hat diese Woche noch in der Berliner Charité therapiert. Die Wartezimmer seiner Geiger stehen in Reykjavík oder Edinburg. Ins Horn bläst ein Arzt aus Hongkong. Auf der Bühne gibt es keine weißen Kittel, aber beruflich tragen alle einen.

Das „World Doctors Orchestra“ tourt durch Deutschland: lauter Ärzte - und „Musikverrückte“, wie Annette Breyer ihre Kollegen nennt. Die Essener Medizinerin sprach mit Lars von der Gönna über den Weg vom Praktizierenden zum Philharmoniker.

"Musikverrückt": Die Essener Medizinerin Dr. Annette Breyer. (Foto: Matthias Graben / WAZ FotoPool)

Ein Orchester aus lauter Ärzten, das ist ja der Traum für hypochondrische Konzertbesucher. Wenn einer fragt „Ist ein Arzt im Saal?“ rufen 80 Musiker: „Hier!“

Annette Breyer: So könnte man das auch sehen. Aber die Musik steht da doch im Vordergrund. Es wäre im Notfall schon schön, wenn ein Kollege da wäre, der gerade kein Instrument in der Hand hält.

Wie findet man sich zu so einem ungewöhnlichen Projekt?

Breyer: Unter den Deutschen trifft man immer wieder Kollegen, die gar nicht genug von Musik kriegen können. Sie sind gut vernetzt. Die spielen im Deutschen Ärzteorchester oder machen Kammermusik. Die Idee zu einer weltweiten Formation mit 600 Mitgliedern entstand 2007.

„Man kann richtig abschalten“

Woher kommt diese Neigung der Mediziner zur klassischen Musik? Uns ist kein deutsches Fliesenlegerorchester bekannt.

Breyer: Aber es gibt, glaube ich, ein Juristenorchester und ein Manager-Orchester. Ich beobachte, dass es speziell in Deutschland — und in Amerika – so ist, dass Ärzte trotz ihrer Belastung viel Zeit für Musik aufwenden. Ich will nicht opfern sagen, das ist es ja nicht. Man tut etwas mit Enthusiasmus, kann aber zugleich richtig abschalten.

Was hilft einem Arzt, wenn er in die Saiten greift? Welche Tugenden sind ähnlich gefordert?

Breyer: Auf den Punkt da sein, fit sein. Leistung bringen – und das sehr komprimiert!

Knappe Probenzeit, hartes „Durchproben“

Tun Sie das bei der knappen Probezeit mehr als Profis?

Breyer: Bei Stimmproben engagieren wir Berufsmusiker. Die finden völlig verrückt, wie wir uns dort verausgaben. „Wie wollt Ihr drei Tage von neun bis fünf durchproben und am vierten und fünften Tag noch große Konzerte geben?“ Das würde kein Profi tun.

Aber Ärzte machen das?

Breyer: Ja, und die ganz Musikverrückten treffen sich nach der Orchesterprobe noch und spielen bis in die Nacht Haydn-Quartette... Vielleicht haben Ärzte auch die Kraft, weil sie sich an die harten 36-Stunden-Schichten erinnern, die die meisten früher machen mussten.

Mehr Kinderärzte als Schönheitschirurgen

Bei Ihnen geigen deutlich mehr Kinderärzte als Schönheitschirurgen ...

Breyer: Stimmt. Es gibt sogar ein eigenes Kinderärzteorchester. Vielleicht setzen Kinderärzte in ihrem Berufsleben andere Prioritäten. Vielleicht sind sie auch besonders „harmoniesüchtige“ Menschen. (lacht)

Kollegen von Istanbul bis Inzell zu Proben zusammenzutrommeln, muss ein Kraftakt sein. Es spricht ja wohl Bände, dass beim „World Doctors Orchestra“ ausgerechnet eine Nervenärztin das Ganze organisiert ...

Breyer: Ja, (lacht). Es ist ein Riesenapparat. Aber subventionsfrei. Sponsoren und Orchestermitglieder stemmen das. Und der Erlös der Eintrittsgelder geht immer an zwei Organisationen des Landes, in dem wir gerade spielen. Aktuell an einen Dortmunder Verein, der ein Ambulanzboot im Kongo finanziert und an „Medica Mondiale“, wo man sich für kriegstraumatisierte Mädchen und Frauen einsetzt.

„Nicht nur aus Gutmütigkeit lauschen“

Sie engagieren edle Solisten. Aktuell spielen Sie mit dem Solo-Klarinettisten der Berliner Philharmoniker Mozart. Warum?

Breyer: Wir wollen die Konzerte attraktiv machen. Wir sind wirklich gut, aber bei so kurzen Proben nicht superperfekt. Da sind solche Solisten auch ein Qualitätssignal. Es soll ja doch mehr sein als ein Benefizkonzert, dem man nur aus Gutmütigkeit lauscht.

  • Alle Erlöse der Konzerte des World Doctors Orchestra fließen in Benefiz-Projekte. Die Musiker tragen ihre Aufwendungen für Anreise, Hotel etc. selbst.
  • Das World Doctors Orchestra spielt am 15. Oktober, 20 Uhr, in der Essener Philharmonie Mozarts Klarinettenkonzert (Solist ist Wenzel Fuchs von den Berliner Philharmonikern) und Bruckners 7. Sinfonie
  • Karten gibt es für 30 Euro (ermäßigt 15) unter Tel. 0201-8122200 oder an der Abendkasse.