Dortmund. . Triumph für Sänger, Dirigent, Orchester: Selten wird Mussorgskys „Boris Godunow“ gespielt. Das Dortmunder Opernhaus hat die große Oper um einen düsteren Zaren jetzt im Spielplan. Szenisch ist es ein respektabler, muskalisch ein hochklassiger Erfolg.

Ganz große Oper - und doch ganz selten zu sehen. Warum „Boris Godunow“ hierzulande so selten die Spielpläne regiert, bleibt ein Rätsel. Gewiss: Mussorgskys Meisteroper ist auch für gute Häuser ein Kraftakt, aber ist das die „Götterdämmerung“ nicht?

Sei’s drum, Dortmund traut sich. Und auch wenn man kein Prophet sein muss, um vorauszusehen, dass der „Boris“ auch künftig fürs Publikum des Westens nie die Magnetwirkung eines Wagner oder Puccini haben wird: Geglückt ist ein Coup, musikalisch ein Hochgenuss, szenisch respektabel.

Effektbewusster Pyrotechniker

Leicht hatte es dieser Brocken des europäischen Musiktheaters nie. Der arme Komponist eckte an, die schroffen Orchesterfarben war seiner Zeit hoffnungslos voraus. Heute dürfen wir die Ohren spitzen, wie feinnervig das dauerversoffene Genie Mussorgsky Motivtechniken beherrschte, wir hören den stilsicheren Genremaler und den effektbewussten Pyrotechniker.

Jac van Steen erliegt mit Dortmunds gut aufgelegten Philharmonikern nie dem Reiz des Plakativen. Noch im großen Ausbruch wirkt die Musik in ihrer gewalttätigen Schönheit konturiert. Eben darum, geht ihr trotz epischer drei Stunden nie der dramatische Atem aus. Steen und die Philharmoniker sind im jubelnden Schlussapplaus zweifellos die Helden des Abends.

Verlierer gibt es ohnehin nicht. Zwar ist Katharina Thomas Regie nicht ohne Löcher (die Kloster-Szene zieht sich wie Kaugummi), aber man ist schon dankbar, dass sie trotz recht gegenwärtiger Ausstattung (Irina Bartels Volks-Kostüme hätten man vom Aalto-“Onegin“ pumpen können) keine plumpe Putin-Parallele zieht. Thoma choreographiert die berühmte Krönungsmusik militärisch-parodistisch, setzt auf ausgeklügelte Tableaus von Macht und Masse.

Grabesgleiche Bunkerwelt

Boris hat den kindlichen Thronfolger meucheln lassen (Thoma zeigt es als stummes Vorspiel), doch es blieb nicht geheim. Und weil alle Schuld Ewigkeit will, ist Boris’ Anfang gleichsam sein Ende. Stefan Hageneiers Bühnenbild ist dieser Tragödie ein starker Partner: kalte, grabesgleiche Bunkerwelt. Samowar und Birkenwäldchen? Nur noch Zitate in dieser Studie über Gewalt und Gewissen.

Sänger in Bestform

Für ein enormes Ensemble seien stellvertretend genannt: Dimitry Ivashchenkos Boris, szenisch kein Charismatiker, aber Meistersinger der Melancholie. Mit Wen Wei Zhang wertet ein Bass der Extraklasse die Nebenrolle des Mönchs Warlaam begeisternd auf. Hannes Brock zeichnet den intriganten Schuiskji aasig-lyrisch, Philippe Clark Halls Narr singt mit Gänsehaut-Qualitäten, während Sergey Drobyshevskiy Grigorijs Aufstand mit smarten Belcanto-Farben probt. Chor und Knabenchor sind in Bestform. Sie haben den „Boris“ noch nie gesehen? Hin! Es könnte dauern, bis der nächste Zar an die Spielplanmacht kommt.

Nächste Termine: 6., 14., 20., 28. Oktober. Tel. 0231/50 27 222