Essen. Der neue Roman von Katharina Hagena „Vom Schlafen und Verschwinden“ erinnert an den Bestseller „Der Geschmack von Apfelkernen“, ist aber eher verkopft denn sinnlich. Nichts gegen einen Roman voller Männergeschichten. Der gleichbleibende Tonfall aber ermüdet und drängt die Frage auf, ob diese Geschichten wirklich alle so dringend erzählt werden müssen.

Schlaflose kennen diesen Moment überwacher Klarheit im gähnenden Abgrund der Ermüdung: Von der gängigen Geißel des Nichtschlafenkönnens erzählt Katharina Hagenas neuer Roman – und von jenen Erinnerungen, jenen Sehnsüchten, die nur im Zustand hellsichtiger Erschöpfung möglich scheinen.

Ellen, 37 Jahre alt, lebt in Hamburg mit ihrer Tochter Orla und arbeitet als Schlafforscherin, ausgerechnet. Sie kennt sich also aus in der „Halbschattenwelt der Schlaflosen“. Im Dämmerlicht zeichnen sich die Konturen ihrer Vergangenheit ab, erinnert sich Ellen an die Geschichte eines langen Sommers, den sie als Erwachsene noch einmal im Heimatdorf Grund nahe Karlsruhe verbrachte.

Katharina Hagena eine Geschichte mit nachtwandlerischer Schwere

„Komm, schwerer Schlaf“ sangen sie damals im Renaissance-Chor ihres Vaters, während Ellens Mutter sterbend in die Unterwelt entglitt. Der rote Faden, der die Sänger verbindet, ist die Liebe – zwischen Eltern und Kindern, vor allem aber zwischen Ellen und den Männern. Da ist Ellens Jugendfreund Andreas, heute Postbote des Ortes; ihm gehören die ersten und letzten Worte des Romans. Da ist Benno, den die Wissenschaft ins Dörfchen Grund führte und der Ellen nie im Bett, gerne aber unter freiem Himmel liebte. Und Marthe, die das Tagebuch des Chors führte. Sie hat einen Sohn verloren: Lutz – dessen Verschwinden auch Ellen nie verwunden hat.

Mit nachtwandlerischer Schwere erzählt Katharina Hagena eine Geschichte, die uns so vertraut scheint wie ein wiederkehrender Traum: eine Frau, die an ihren Heimatort zurückkehrt. Ein tragisches Familiengeheimnis. Die Natur als übersinnlicher Seelenspiegel. Ein heftiger Flirt mit moderner Wissenschaft (diesmal Schlaf-Forschung), unter leidenschaftlicher Ausreizung aller poetischen Möglichkeiten. „Vom Schlafen und Verschwinden“ ist die verkopfte Schwester des sinnlichen Bestsellers „Der Geschmack von Apfelkernen“.

Selbst die Sommerromanze zwischen Benno und Ellen ist bereits melancholisch gefärbt und damit den anderen Episoden in Ellens Beziehungshistorie arg ähnlich. Nichts gegen einen Roman voller Männergeschichten. Der gleichbleibende Tonfall aber ermüdet und drängt die Frage auf, ob diese Geschichten wirklich alle so dringend erzählt werden müssen.

Die Poesie der Spinnen-Netze

Zur Verwirrung trägt ein Überangebot poetischer Verflechtungen und Verweise bei, ganz im Sinne des ersten Satzes: „Alles ist voller Zeichen.“ Wiederkehrende Motive sind Spinnen-Netze und Kunstwerke aus Fäden, die Zugvögel am Himmel, die Ochsenfrösche und Fischreiher am Baggersee – und Briefe, die auf diese und jene Weise Erwartungen enttäuschen. So bleibt der Eindruck einer losen Sammlung sprachschöner Prosa, die ohne Ziel dahinschwebt.

  • Katharina Hagena: Vom Schlafen und Verschwinden. Kiepenheuer & Witsch, 288 S., 18,99 €