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Martin Walser arbeitet sich mit seinem neuen Buch „Mein Jenseits“ am Glauben ab. Auf den großen Walser-Wurf zum Thema wird man allerdings noch warten müssen. Im Herbst soll der Roman „Muttersohn“ erscheinen.

Bis Martin Walser 2008 mit seinem Goethe-Roman „Ein liebender Mann“ die passende Wortlandschaft für die Risiken und Nebenwirkungen von Liebe im Alter gefunden hatte, dauerte es eine Weile. In seinen Romanen „Der Lebenslauf der Liebe“ (2001), „Der Augenblick der Liebe“ (2004) und „Angstblüte“ (2006) hatte Walser das Thema schon mehrmals umkreist, ohne Angst vor Peinlichkeiten – und war gescheitert, stilistisch, erzählerisch. So sehr das Thema zugeschnitten schien auf den demografischen Wandel und ein Publikum jenseits der Harry-Potter-Liga: Erst die Fallhöhe des Olympiers Goethe ließ Literatur werden aus dem, was zuvor bloß unverdaute Biografie und schwülstige Phantasie blieb.





Nun arbeitet sich Walser (82) mit seinem neuen Buch „Mein Jenseits“ am Glauben ab. Wiederum mit Instinkt für den Zeitgeist. Doch es geht in dieser schmalen Novelle nicht um das Comeback der Religionen in der Politik, sondern um Augustin Feinlein, Chef einer psychiatrischen Klinik, der seit Jahren schon 63 ist, weil er „aufgehört hat zu zählen“. Wir folgen Feinlein nach Rom, das er „mein Jenseits“ nennt. Ein Touristen-Paradies, aber er sucht die menschliche Erfahrung jenseits des Wissens. Das bringt ihn zu schönen Sätzen wie „Glauben heißt, Berge besteigen, die es nicht gibt“. Oder: „Glauben lernt man nur, wenn einem nichts anderes übrig bleibt.“ Aber wenn man dran glauben muss, ist es schon zu spät.

Augustin Feinlein ist, wie fast jeder Walser-Held, ein Mensch am Rande des Ich-Zusammenbruchs. Er laboriert daran, dass Eva Maria, die Liebe seines Lebens, ihn doppelt verschmäht hat: beim ersten Mal als Studentin, die es vorzog einen Grafen und sein Schloss zu heiraten – und dann, als Witwe, ehelichte sie ausgerechnet Feinleins Stellvertreter, den erheblich jüngeren Dr. Bruderhofer, der unablässig versucht, seinen Chef von der Klinik-Spitze zu verdrängen. Jedenfalls glaubt Feinlein das. Und er glaubt an Reliquien. Deshalb lässt er, wie zum verzweifelten Liebes- und Lebenstrost, in der Kirche von Letzlingen (ein eher unsubtiler Namenskalauer) die Monstranz samt Heiligblut-Reliquie mitgehen. So wird der Chef der Nervenklinik zum Patienten. Und bleibt ein seltsamer Typ, von wenig Belang und so abstrus wie seine ganze Geschichte.

Vielleicht sieht man es bei Walsers Hausverlag Rowohlt ganz gern, dass der (teure) Band im Haus des ehemaligen Suhrkamp-Verlagsleiters Gottfried Honnefelder erschienen ist. Auf den großen Walser-Wurf zum Glauben wird man jedenfalls noch warten müssen. Im Herbst soll der Roman „Muttersohn“ erscheinen. Bei Rowohlt.