Räuberhöhle. . Mit Pfefferpistole und Riesenhut hat er Generationen von Kindern in Spannung versetzt. Aber schafft es der Räuber Hotzenplotz, im Zeitalter des Tablet-Computers, auch heute noch, junge Leser zu fesseln? Ein Bericht über einen erfolgreichen Selbstversuch.
Mit dem Tablet-Computer gehen der Vierjährige und seine zwei Jahre ältere Schwester so selbstverständlich um, dass sie sich über den Fernseher wundern: Das Bild lässt sich partout nicht verschieben, da kann man noch so oft mit dem kleinen Finger darüber streichen. Was soll’s, die Eltern wollen ja eh nicht, dass ihnen etwas anderes als Sandmännchen vom Flachbildschirm zuwinkt.
Langeweile gibt es trotzdem nicht. Die Regale in den Kinderzimmern sind gefüllt mit Hello-Kittys, Lilli-Feen und Bob-Baumeistern, dass selbst ein Memory-Profi ins Schwitzen käme, wollte er sich alle Spielsachen merken. Hat da ein in die Jahre gekommener Gauner überhaupt noch eine Chance? Die Tante der Kinder wollte es wissen und besuchte sie eine Woche lang im Sommerurlaub. Im Gepäck: Räuber Hotzenplotz.
Hotzenplotz - der Name wie ein Zauberwort
Allein der Name klingt schon wie ein Zauberwort in den Ohren der Kinder: „Hotzenplotz“ formen ihre Münder. Erst zaghaft, dann immer lauter: „Hotzenplotz“ – und schon toben sie wie mit sieben Messern und einer Pfefferpistole bewaffnet durchs Haus.
Veraltete Pädagogik à la Struwwelpeter kennt dieser Räuber nicht. Doch manchmal hilft auch keine moderne Erziehung mehr, sondern nur noch räuberische Erpressung: „Wenn ihr nicht sofort runter-, raus-, reinkommt, dann geht es heute ohne Hotzenplotz ins Bett.“
Die Kinder kugeln sich vor Lachen
Wären sie in der Zeit des Räubers geboren, hätte man diese Kinder nun „artig“ genannt. Auf der Bettkante sitzend, an die Vorleserin gekuschelt, die nach Lakritz riecht, während sie selbst noch die Himbeer-Zahnpasta schmecken, lauschen sie dem ersten Satz der Geschichte: „Einmal saß Kasperls Großmutter auf der Bank vor ihrem Häuschen in der Sonne und mahlte Kaffee.“ Wisst ihr, was eine Kaffeemühle ist? Kopfschütteln. Aber Großmutter kennen sie. Aus dem Märchen. Dass diese Person etwas mit ihrer Oma zu tun hat, die gerne einen Caffè Latte trinkt, erkläre ich ein anderes Mal.
Hotzenplotz ist überall
Die kleinen Finger puffen oder kneifen nicht, sie zeichnen langsam die Mützen von Kasperl und Seppel nach. Die Münder öffnen sich nur noch vor Staunen. Doch dann ist es plötzlich vorbei mit der Ruhe. Kasperl nennt den großen Zauberer nicht Petrosilius Zwackelmann, sondern Schnackelmann, Wackelzahn oder gar Dackelschwanz. Die Kinder kugeln sich lachend durch die Kissen. Dackelschwanz!
Zauberer Petrosilius Zwackelmann und Wachtmeister Dimpfelmoser
Nur einmal steht der Vierjährige auf und schleicht davon. Als der große Zauberer Petrosilius Zwackelmann in den Tümpel stürzt. War das zu gruselig? Kopfnicken. Beim nächsten Kapitel hört der kleine Mann im Schlafanzug aber wieder zu.
Die Sechsjährige stellt zum Schluss fest: „Ich bin die Fee Amaryllis.“ Und die Tante? „Wachtmeister Dimpfelmoser“. Ah ja. Und du? „Räuber Hotzenplotz“, ruft der jüngere Bruder. Was für eine Frage! Doch ist der Hotzenplotz wirklich ein Räuber? Die Kinder und ihre Tante hat er nicht bestohlen. Sie fühlen sich reich beschenkt.