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Manche finden es staubig, andere schon wieder kultig. Am Thema Volkslied scheiden sich die Geister. Melanie Unseld, Professorin für Musikgeschichte, spricht im Interview über rebellische Volkslieder und Karl Moik.
In dieser Woche hat der Klassik-Konzern Sony etwas sehr Altmodisches getan. Er hat eine Platte mit deutschen Volksliedern herausgebracht. Stammen „Am Brunnen vor dem Tore“ und „Komm lieber Mai“ wirklich aus dem Volk? Und hat Lena Meyer-Landrut das Zeug zum Volksgut unserer Tage? Lars von der Gönna sprach darüber mit Melanie Unseld, Professorin für Musikgeschichte an der Universität Oldenburg.
Ist das Volkslied wirklich ein Lied aus dem Volk?
Die Frage trifft ins Schwarze - auch weil wir uns fragen müssen: Was ist eigentlich das Volk? Und das Volkslied spricht eigentlich immer nur ein Ausschnitt an: Liebeslieder sprechen Verliebte an, Wiegenlieder die Kinder, politische Lieder Stände oder gesellschaftliche Gruppen.
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Wann sind die klassischen Volkslieder entstanden?
Die meisten, die wir so nennen, sind zwischen 150 und 250 Jahre alt. In dieser Zeit sind Volkslieder oft auch entstanden, weil es im Volk gärte, viele sind aus Revolutionen erwachsen. Das Volk ist auf die Straße gegangen und hat gesungen.
„Viel Emanzipatorisches“
Irgendwann wurde immer weniger gesungen. Ist das Volkslied von den 68ern gekippt worden? Vielen steht es für alte Werte, für bürgerliches Idyll?
Nein, das gar nicht. Gerade die 68er haben sich auf die Suche gemacht nach Volksliedern. Es gibt ja nicht wenige, die viel Emanzipatorisches und deutliche Autoritätskritik enthalten. „Die Gedanken sind frei“ waren ein Lied, mit dem man gegen die Zensur rebelliert hat: „Und sperrt man mich ein, im finsteren Kerker, das alles sind rein, vergebliche Werke. Denn meine Gedanken, zerreißen die Schranken...“
Ist das, was die meisten als Volkslied kennen, nicht ein bisschen eine Mogelpackung, weil es gar keine Lieder aus dem Volk sind? „Am Brunnen vor dem Tore“ ist von Schubert, „Komm lieber Mai“ von Mozart.
Das ist keine leichte Frage. Diese Kompositionen gelten zwar als „Kunstmusik“, aber sie sind eindeutig zu Volksliedern geworden. Zu leicht verständlichen Liedern, die jeder singen kann. Übrigens dürfte das ganz im Mozarts Sinn gewesen sein. Er hätte sich gefreut. Er hat so ein Lied durchaus als Gebrauchsgegenstand verstanden.
Musikantenstadl ist nicht „das“ Volkslied
Ist das Versinken des klassischen Volksliedes die Folge von Schlagern oder von Karl Moik?
Sowohl Schlager als auch volkstümliche Musik im Fernsehen sind Phänomene, die eng an mediale Übertragung gebunden sind. Der Schlager wurde über Film, Schallplatte, Radio populär. Aber was der Musikantenstadl uns auf den Bildschirm schickt, ist nicht „das“ Volkslied, sondern eine mediale Inszenierung. Grundsätzlich sollte man den Begriff aber nicht zu eng fassen. Volkslieder können Lieder sein, die uns mit anderen zu einer Gemeinschaft verbindet.
Heißt das etwa, wir haben es mit einem Volkslied zu tun, weil wir damals in den frühen 80ern alle „Da da da“ gesungen haben?
Wenn Sie unter „Volkslied“ das verstehen, was im 19. Jahrhundert darunter verstanden wurde, nein. Aber wenn wir einen modernen Volkslied-Begriff verwenden: Ja, durchaus. Das Lied war ja für eine Generation fast ein Gemeingut und hat sich bis heute als Markenzeichen dieser Generation gehalten. Volkslieder haben viel mit der Generation zu tun, in der ich aufwachse, mit einer Identität.
Und Lena Meyer-Landrut?
. . . hat ein aktuelles Lied herausgebracht, das fast jeder mitsingen kann. Warten wir mal ab, ob es ein Volkslied wird.