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Der Erzähler Norbert Gstrein hat mit „Eine wahre Geschichte“ einen Schlüsselroman aus der Literaturszene geschrieben. Kein großes Buch, aber ein Unternehmen mit Sprengkraft.

„Man hat mir abgeraten, darüber zu schreiben”, mit diesen Worten beginnt Norbert Gstreins neuer Roman. Ein guter Rat. Nicht, weil nun der Anwalt einer rasenden Verlegerwitwe zu fürchten sein könnte: „Meine Darstellung, da bin ich sicher, wird noch am Tag der Veröffentlichung auf seinem Schreibtisch landen.” Sondern, weil dies Buch ermüdend ist in seiner Raserei, rätselhaft in seiner Beharrlichkeit - und den Geruch der Rache einfach nicht loswerden mag.

Die Geschichte beginnt mit einer Beerdigung: Der Chef einer kleinen Wiener Verlags-Klitsche wird zu Grabe getragen. Heinrich Glück hinterlässt einen treu ergebenen Cheflektor sowie eine Witwe. Beide balgen sich alsbald um das Verfassen seiner Biografie. In Rückblenden zeichnet Gstrein das Bild einer so herrischen wie sprunghaften, so gefall- wie karrieresüchtigen Frau. Um sich interessanter zu machen, erfindet Dagmar Glück eine jüdische Großmutter und trägt Schmuckanhänger mit einem fünf- und einem sechszackigen Stern. Ihre religiösen und mystischen Leidenschaften fasst sie in Worte, für die der Lektor nur eines hat: „Sexualesoterik”. Als die Witwe über das Sterben ihres Mannes schreibt, nennt er dies einen „obszönen Slapstick der Trauer”.

Die ganze Wahrheit

Dies soll also „die ganze Wahrheit” sein. Ist sie es? Seit Monaten raunt der Literaturbetrieb, Dagmar Glück solle Ulla Unseld-Berkéwicz zum Vorbild haben, Witwe des Suhrkamp-Verlegers. Gstrein, einst Suhrkamp-Autor und Siegfried Unseld freundschaftlich verbunden, wechselte nach dessen Tod zum Hanser-Verlag. Er nennt sein Werk „Prosa mit schwerem Wirklichkeitsgewicht”. Bereits in früheren Werken wandelte der Autor, darin Maxim Biller („Esra”) nicht unähnlich, auf dem schmalen Grad von Fakten und Fiktion. Juristisch wird er sich wohl abgesichert haben. Doch für Leser, die die offenbar schillernde Verlegerin nicht persönlich kennen, trägt sein Roman nichts zur Klärung bei. Aus diesem Grund aber dürfte er Ulla Unseld auch nicht treffen - wenn sie klug ist. Kein Skandal also, vielleicht nicht mal ein Skandälchen.

Was bleibt? Reichlich Literaturbetriebs-Häme und, selten, eine erfrischende Ironie, die sich durch die gewählte Erzählstimme ergibt. Der Lektor ist so trunksüchtig wie wankelmütig, eine Verliebtheit in Frau Verlegerin streitet er verdächtig vehement ab. Charme entwickelt dieser eher blass bleibende Antiheld da, wo er selbst mit Wirklichkeit und Fiktion jongliert: „Dagmar schmolz hin, ein Narr, wer es aus bloßem Originalitätswahn anders ausdrücken wollte. Ihre Augen bekamen genau den feuchten Film, den ich in Manuskripten nie habe durchgehen lassen, nur um jetzt von der Wirklichkeit eines Besseren belehrt zu werden...”

  • Ulla Unseld-Berkéwicz wurde 1951 in Gießen als Ursula Schmidt geboren (Quelle für das Geburtsdatum ist die FAZ). Vom Familiennamen ihrer jüdischen Großmutter, Berkowitz, leitete sie später ihren Künstlernamen ab. 1990 heiratete sie den Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld, der 2002 starb; 2008 erschien ihr Buch „Überlebnis” über dessen Tod. Wie der „Spiegel” schrieb, gehört ein gehöriger „esoterischer Hau” zu jenen Mythen und Sagen, die sich um die umstrittene Verlegerin ranken: „Man muss sie nicht lieben.”