Essen. Vor 100 Jahren starb der berühmteste deutsche Abenteuerschriftsteller Karl May. Im Interview spricht Roger Willemsen über den Hallodri und Poeten. Ein Gespräch über unfaire Kritiker, Moral und das Vergessen-Werden.

Roger Willemsen hat es nicht nötig sich abzugrenzen von einem, den sie „Scharlatan“ schimpften. Im Gegenteil: Er bricht eine Lanze für Karl May, hat ihm einen Gedichtband gewidmet und mag Mays Mogeln lieber als die gähnende Aufrichtigkeit seiner literarischen Kollegen. Mit Roger Willemsen sprach Lars von der Gönna anlässlich des 100. Todestages von Karl May.

Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Karl May denken?

Willemsen: Grün-goldene Leinen-Bände, Cover wie Tapisserien, holzgeschnitzte Gesichter, ein Mann mit einem breitkrempigen Hut, die faszinierende Physiognomie des Schwindlers, des gut verkleideten Stubenhockers als Abenteurer.

Apropos Schwindler: Alle möglichen Dichter waren nie an den Schauplätzen ihrer Helden, Schiller für den „Carlos“ nie im Escorial. Selbst wenn der Henrystutzen aus Kötzschenbroda kam: Warum hat man gerade Karl May das oft so hämisch vorgeworfen?

Willemsen: Wahrscheinlich war es den Kritikern peinlich, dass sie in ihrer Jugend so gerne an der Seite von Karl May Abenteurer gewesen und dann Bettvorleger geworden waren. Und so war die Herabsetzung von Karl May auch eine Art Selbstbestrafung. Andererseits hat der Gute auch außerhalb der Romanwelt Einiges getan, um jedem glaubhaft zu machen, er habe alles wirklich erlebt, und so mag er zwar ein Hochstapler gewesen sein, aber einer, der ausufernd und sorgfältig recherchierte und diese Recherchen in seine Bücher einarbeitete.

„Ein Dandy, der künstlerisch leben will“

Es kommt uns vor, als habe das Hallodrihafte an May die Menschen besonders gereizt, ihn in die Schublade der Schundliteratur zu stecken. Betrug, Hochstapelei, Diebstahl: War er ein unbequemer Deutscher, einer, auf den man guten Gewissens einfach nicht stolz sein darf?

Willemsen: Wie sagt Oscar Wilde so schön: „Dass jemand Wechsel fälscht, sagt nichts gegen sein Geigenspiel.“ Im Grunde ist Karl May ein Dandy, der künstlerisch leben will, also ein wenig amoralisch ist und keine scharfe Grenze zwischen dem Schwindeln in der Kunst und außerhalb von ihr zieht. Mich freut sein Schillern mehr als der stumpfe Glanz der Rechtschaffenheit bei manch anderem Autor.

May war für Generationen Heranwachsender der Abenteuerschriftsteller. Es scheint, als habe er den Anschluss an die IPod-Jugend nicht geschafft. Ist er nur noch einer für Nostalgiker?

Willemsen: Sie haben recht. Eine Zeitlang überlebte Karl May in den Filmen, schließlich in Bully Herbig. Erst in den letzten fünf Jahren erlebt er einen dramatischen Kurssturz. Seine Abenteuerwelt ist antiquarisch geworden. War er vor Jahren noch der viertmeist angeklickte deutsche Autor des Internets, rangiert er heute nur noch in der Vorhölle des ewigen Vergessen-Werdens.

„Typen, Fratzen, Transen“

Haben Sie eine Lieblingsfigur im Schaffen Karl Mays?

Willemsen: Ich fürchte, es muss Hadschi Halef sein, als Stellvertreter aller Buffo-Figuren im Werk Karl Mays, dieser komischen Typen und Fratzen und Transen wie einem Polizisten in Frauenkleidern, der „Tante Droll“ heißt. Manchmal geht da die Fantasie auf das Schönste mit ihm durch.

Ihnen, Herr Willemsen, haben wir einen wunderbaren Gedichtband zu den Werken Karl Mays zu verdanken. Haben Sie daraus ein paar eigene Lieblingsverse?

Willemsen: Dann kommt mit dem Altenteile / der sanfte Tod durch Langeweile, / und während er dich übermannt, / bist du auf den Schluss gespannt. / Gleich wirst du ihn erlitten haben, / dann wird der Rest von dir vergraben / Im Jenseits frei flottierend prahlste: / An mir war Sterben das Vitalste.

Geht es auch etwas kürzer?

Willemsen: Bei der Arbeit an diesem Gedichtband war es am schwersten, einen Reim auf N’tscho tschi zu finden. Er lautet: „Wenn ich nur noch einen tot schieß, / wird’s der Mörder sein N’tscho tschis.“