Essen. Der Bassbariton Thomas Quasthoff zieht sich aus gesundheitlichen Gründen als Künstler zurück. Der 52-Jährige will künftig nur noch Musik lehren. Seine Fangemeinde ist geschockt, selbst für Insider kommt der Rückzug überraschend. Quasthoffs geplante Konzerte in Dortmund und Essen fallen aus.

Dass sie die Stimme von Thomas Quasthoff nie wieder im Konzertsaal hören wird, das muss die große Fangemeinde des Thomas Quasthoff erst noch begreifen. Am Mittwoch erreichte uns die Meldung, die diesen Text wie einen Nachruf klingen lässt.

Thomas Quasthoff singt nicht mehr. Selbst für Insider kommt der Rückzug überraschend. Quasthoffs Brahms-Abend Ende Januar in Dortmund, er war fast ausverkauft; für das Schubert-Konzert in Essen Ende Mai wollten Menschen von weither anreisen.

Dazu wird es nun nicht mehr kommen. „Ich habe mich entschlossen, mich nach fast 40 Jahren aus dem Konzertleben zurückzuziehen, weil es mir meine Gesundheit nicht mehr erlaubt, dem Anspruch, den ich immer an mich selber und an die Kunst gestellt habe, gerecht werden zu können“, teilte der 52-Jährige der Öffentlichkeit mit. 52, ein Alter, in dem ein Bassbariton ein Sänger in den besten Jahren ist. Eigentlich.

Starke Kehlkopfentzündung

Es gab im Herbst erste Anzeichen, dass es Thomas Quasthoff nicht gut geht. Eine starke Kehlkopfentzündung machte ihm zu schaffen. Dem geliebten Jazz, der die Stimme sehr speziell fordert, hatte er da auf Anraten seiner Ärzte schon entsagt. Doch der Rückzug auf ganzer Linie kommt unerwartet. „Schockiert“, nimmt Johannes Bultmann, Intendant der Essener Philharmonie, die Nachricht auf, umso mehr, da er Quasthoff als einen Sänger kenne, „der so viel Energie hat.“

Tatsächlich nimmt damit ein Mensch Abschied vom Konzertleben, der in mehr als einer Hinsicht ein Ausnahmesänger ist. Es war nicht nur in Deutschland eine Sensation, als ein als Contergankind geborener junger Mann sich anschickte, Weltkarriere zu machen. Ältere werden sich an einen frühen Fernsehauftritt erinnern. Da stand er beim „Großen Preis“ und sang Beethovens Flohlied. Und dann kam Wim Thoelke als einer, der zeigte, was sie alles Gutes tue, die „Aktion Sorgenkind“.

Kein Sorgenkind

Sorgenkind! Dass er eben das nicht war, dafür sorgten kluge Eltern. Von Geburt an versuchte Quasthoffs Familie, ihm nie das Gefühl zu geben, anders zu sein, für irgendetwas nicht tauglich. Das besorgten erst Technokraten an Musikhochschulen. Zu kurze Arme fürs Klavierspiel: kein Gesangsstudium! Quasthoff fing mit Jura an, war bei der Sparkasse, sechs lange Jahre.

Aber es fand sich die Treppe zur Kunst, wenn auch auf Umwegen. Der kleine Mensch, der ein Riesentalent war, setzte sich durch. Und plötzlich war es die Carnegie Hall, plötzlich stand er (ausgerechnet als von Krankheit gezeichneter Amfortas) in Wiens Staatsoper auf der Bühne.

Große Popularität

Man darf sich nichts vormachen. Die Popularität dieses Sängers war und ist nicht nur eine Frucht der Kunst. Dass ihn weit mehr Menschen kannten als andere Sänger seiner Güte, war auch eine Folge der Behinderung. Mitleid, Respekt, Staunen, Bewunderung: All das lösten Quasthoffs Auftritte in Talkshows wie Konzerten auch bei jenen aus, die sich für Schuberts „Winterreise“ nicht erwärmen konnten.

„Ich gehe ohne Bitterkeit“, hat Thomas Quasthoff gestern gesagt. Man möchte ihm glauben, man wünscht es ihm. Aber dass er so unerwartet verzichten muss auf das, was große Teile seines Lebens ausmachte, was ihm Glück war und dauernde Herausforderung, das wird auch ihn nicht ohne Härte treffen. Er will weiter lehren, will Meisterkurse geben und sein Festival „Das Lied“ leiten.

Einfühlsame Stimme

Thomas Quasthoff singt nicht mehr. Das klingt wie ein Nachruf klingt. Diese so klangschöne, so unendlich warme und zärtlich anmutende, so nuancenreiche und anrührend einfühlsame Gesangsstimme nie mehr hören zu dürfen, ist ein großer Verlust.

Es gibt Sänger, die viel zu spät abtreten. Quasthoff, gewiss auch aus seiner Sonderstellung heraus ehrgeizig und unerbittlich sich selbst gegenüber, hat das Gegenteil getan. Man möchte ihm für die Einsicht danken, zu der so viele nicht fähig sind – vermisste man ihn nicht schon jetzt.