Dortmund.

. Cecilia Bartoli gilt als Meisterin für Mozart, Rossini, Händel oder vergessene Kastratenarien. Als Bellinis „Norma“ muss sich die Opernsängerin an den Großen ihrer Zunft messen. In Dortmund gab sie am Dienstag ihr gefeiertes Debüt.

Sollten das eine Träne im Auge der schönen Römerin gewesen sein? Da hatte sie eben den Bann gebrochen, hatte das berühmte „Casta Diva“ in schieren Samt gebettet und gebetet, um dann ihr „Ah! bello a me ritorna“ zu singen - so sanft war vokale Attacke nie. Die Träne, galt sie der Rührung über das Bewältigen einer Rolle, die man ihr nicht zutraute? Glück über etwas, das man für sich selbst tut, weil man sich auch als noch so gefeierte Primadonna einen Traum erfüllen will?

Cecilia Bartolis Weltdebüt in der mörderischen Partie von Bellinis „Norma“ fand in Dortmund statt. Ein Ritterschlag fürs Konzerthaus. Das Unaussingliche - hier ward’s Ereignis. Norma, das ist natürlich im 20. Jahrhundert Callas: eingemeißelte Vokal-Ikone von glühender Ekstase, nicht klassische Belcanto-Schönheit. Und gleich denkt man an Callas’ eitles Lästern, dass jene, die die Partie anders sangen, ihre „Kunst um Jahrzehnte zurückgeworfen“ hätten.

Sie muss die Callas überwinden, so oder so.

Bartoli muss und kann Callas überwinden, weil ihrem Stimmnaturell trotz gewaltigen Stimmumfangs gar nichts anderes übrig bleibt. Und besagte Jahrzehnte überspringt sie ohnehin, weil Bartoli mehr als ein Jahrhundert zurückreist. Ihr Quellenstudium hat eine andere Norma zutage gefördert: ein empfindsamer Mezzosopran in Gesellschaft hölzerner Querflöten, Darmsaiten und historischer Trompeten (mit leichten Wacklern, aber immer fabelhaft musikantisch: das Balthasar-Neumann-Ensemble).

In der Fanfaren-Riege hochdramatischer Allzweckwaffen spielte Bartoli ohnehin nie. Und so ist ihre Norma: eine engelsgleiche Nemesis, deren Pfeile immer ein sanfter Schleier umgibt. Umso mehr treffen sie ins Herz. Nicht übrigens wegen ihrer wie stets verblüffenden Koloraturgeläufigkeit. Das, was sich an diesem Abend (mit unaufdringlich würdigen Mitsängern und Thomas Hengelbrocks glutvollem Dirigat) einbrannte, war Klang gewordene Sinnlichkeit, war ein Wort für Wort begriffenes Gestalten ohne vordergründigen Effekt, ein vokaler Farbenreichtum, der fast grenzenlos schien.

Und also gab es die große Oper ohne Opernhaftigkeit. Ein einsamer Buhruf verlor sich im Jubel.