Ruhrgebiet. . Besucherrekord bei der Extraschicht: Die Lange Nacht der Industriekultur lockte mehr als 200.000 Menschen an 47 Spielorte im Ruhrgebiet. Gelassenheit trotz langer Schlangen. Ein Unfall trübt den Auftritt der Artisten von Urbanatix.
Roberto zurrt die Hängematte fest. Zum Feuerwerk will er den besten Platz haben. Den hat er mit Ausblick auf Jahrhunderthalle und die Studentinnen gegenüber. Der Italiener nimmt das Fläschchen Wein zur Hand. Er lehnt sich zurück. Silenzio! Sein Alter will er nicht verraten. „Was sagen schon Zahlen“, sagt er. „Man muss das Leben genießen.“
Das tun in dieser Nacht 200.000 Menschen. Ruhrgebietsfanatiker und Industrieromantiker bevölkern zur elften Extraschicht 47 Spielorte. Sie bestaunen Unterwasserskat am Duisburger Innenhafen, zwängen sich freiwillig in viel zu enge Shuttle-Busse und streicheln Kamele am Wassermuseum in Duisburg.
Versunken im Eiswasser
Am Schiffshebewerk Henrichenburg schnitzt Künstlerin Johanna Niewerth Eisskulpturen. Der eine Stunde alte Dampfer versinkt im eigenen Tauwasser. Vor der Industrie-Ikone sticht die echte MS Henrichenburg mit Passagieren in See. Der Kapitän verkündet: „Mit ein wenig Glück kommen wir alle wieder zurück.“
Da sind auch wieder die Ehrenamtlichen, neudeutsch Volunteers. Oder „Verkehrskadetten der Extraschicht“ – wie sich Nils Stanigel selbst bezeichnet. Der 42-Jährige steht an den Bussen in Henrichenburg, dirigiert Menschen von rechts nach links und „weiß natürlich alles“. Sein blaues Polo-Hemd ist etwas ausgewaschen – Recyclingprodukt der Kulturhauptstadt wie die Regenjacken. Die bleiben im Auto. Der Wettergott zaubert ein sanftes Hochofenrot auf den stahlblauen Abendhimmel. Dazu ein paar Quellwolken wie beim Abstich. Perfektes Nachtschwärmerwetter!
Als hätten sie sich verabredet, spazieren hunderte Menschen von der Bochumer Innenstadt durch den Westpark zur Jahrhunderthalle. Entspannungsgleichschritt wie auf Befehl. Draußen gibt’s Kirmes mit Döner, Würstchen und Süßkram. Schlangenvergleich Bier- und Weinstand: Bier siegt! Drinnen hauen Nachwuchspianisten beim Marathon in die Tasten. Beim Poetry-Slam versprühen Wortakrobaten ein Feuerwerk von Poesie. Im Film-Zelt erklärt der Bär dem Tiger, warum Panama so schön ist.
Ein Artist rutscht ab
Schrecksekunde in Gelsenkirchen. Im Amphitheater rutscht ein Artist bei der zweiten Urbanatix-Show von einer Wippe ab, bleibt auf der Bühne liegen, wird schließlich mit dem Krankenwagen abtransportiert. Entwarnung von Ruhr-Tourismus-Sprecher Arne van den Brink: „Die Fußverletzung musste im Krankenhaus behandelt werden. Nichts Bedrohliches.“ Wohl der einzige Zwischenfall.
Lange Schlangen überall. Aber die Menschen bleiben freundlich. Ein Lächeln hier. Ein Lächeln da. Man wartet geduldig auf den Bus. Wohin? Egal! Das grüne Armbändchen ist Freifahrtsschein in alle Himmelsrichtungen. 35 000 Extra-Kilometer legen die Busse zurück.
Japan-Fahnen am U
Es geht das Gerücht um, dass am Dortmunder U (bei einer Nippon-Ausstellung) japanische Fahnen gesehen worden sein sollen. Ausgerechnet in der Fußballhauptstadt! Vor dem Hochofen III in Hattingen verfolgen sie an einem kleinen Monitor die Niederlage der Fußball-Ladys. Vielleicht ist hier deshalb deutlich weniger los als sonst.
„Licht an!“, heißt es zum spektakulären Finale mit Feuer und Licht. In Hattingen will die Musik nicht. Bach tröpfelt aus den Lautsprechern. Museumsleiter Robert Laube setzt kurzerhand auf lautere 70er-Jahre-Songs. Von den gewaltigen Wänden des Erzlagers regnet dazu ein Vorhang aus Funken. Finale furioso!
Ende gegen 2 Uhr. Geschafft, aber glücklich. Besucherrekord, heißt es. Gezählt hat man nicht, aber gefühlt. Van den Brink: „Ein Tacken mehr als sonst.“ Kein Grund, was zu ändern. Fazit: War mal wieder schön gewesen.