Bochum. Das Jammertal der Familie, jede Menge Leichen im Keller und Konflikte bis zum Abwinken - Markus Dietz inszeniert am Schauspielhaus Bochum "Eine Familie" von Tracy Letts.

Früher haben Cowboys in diesem Teil der USA ihren harten Job versehen. Doch auch heute ist das Leben in der Prärie des mittleren Westens kein einfaches. Im Osage County von Kansas beispielsweise sind die Mitglieder der Familie Weston mit Fleiß dabei, sich gegenseitig zu zerfleischen. Man kennt ja diesen Automatismus von Familienfeiern im amerikanischen Drama – wenn Lügen zerplatzen, in alten Wunden gebohrt wird und so manche Leiche im Keller ans Tageslicht kommt.

In Tracy Letts' voluminösem Schlagabtausch „Eine Familie”, den Markus Dietz jetzt im Bochumer Schauspielhaus eingerichtet hat, ist eine Beerdigung der Anlass aller Geiferei. Der Hausherr Bevery Weston (Heiner Stadelmann), früher mal ein vielversprechender Dichter, hat nur Zeit für einen Eröffnungsmonolog, dann begeht er auch schon Selbstmord. Er verlässt ein Jammertal familiärer Beziehungen, das sich nun aus Anlass seiner Beerdigung in üppigster Vegetation präsentiert.

Dietz ist ein Fachmann für das klassische amerikanische Drama, in Bochum sah man von ihm bereits respektable Stück-Inszenierungen von Tennessee Williams und Eugene O'Neill. Noch stärker als dem Publikum muss ihm deshalb bekannt vorkommen, was ihm da als Spielmaterial zur Verfügung steht. Letts nämlich holt sich die Bausteine für seinen auch in gekürzter Form noch veritablen Dreieinhalbstünder bei all diesen Autoren, verquirlt sie lange genug und schmeckt mit Tschechow ab. Der Lohn für solche Art von Themen-Konstruktion: ein Pulitzer-Preis und gleich fünf „Tony”-Awards.

Kranke Vettel im Drogenrausch

Violet Weston etwa, die von Mundhöhlenkrebs geplagte, tablettensüchtige Witwe ist eine deutliche Wiedergängerin der Mary Tyrone aus O'Neill's „Eines langen Tages Reise in die Nacht”. Drei Töchter hat sie zur Welt gebracht, drei Schwestern also, die es natürlich nicht nach Moskau zieht, dafür aber nach New York und Belize - nur weg aus dieser Prärie. Was da nun vor, während und nach dem Leichenschmaus zu Tage gefördert und welch großes Aggressionspotenzial abgebaut wird, das lässt an Hass, Inzest und Bösartigkeit nichts zu wünschen übrig. Man kennt all diese wortreich ausgetragenen Konflikte zur Genüge, die Seifenopern des Fernsehens leben davon.

Mechthild Grossmann mit ihrer tiefen, sonoren Stimme weiß sich an Tracy Letts' Dialog-Baukasten noch am besten zu bedienen. Lustvoll lässt sie die kranke Vettel heraushängen, verliert im Drogengedämmer nicht selten die klare Sprache, schmeckt aber selbst dann noch jedes Wort auf Pointe oder Effekt ab. In Bochum wird sie damit sehr schnell zum Publikumsliebling. Auch Katja Uffelmann als Tochter Barbara, die ihrer Mutter immer ähnlicher wird, gewinnt mit der Zeit deutlich an Kontur.

Da auf Mayke Heggers dreistöckiger Holzhaus-Bühne eindeutig zu viel geredet wird, ist man gelegentlich dankbar für die Videoeinspielungen, bei denen die Kamera aus nächster Nähe die stummen Gesichter des Ehepaares Weston präsentiert. Die wahre Dimension ihres Leidens ist ihnen zumindest hier in jeder Pore anzumerken. Und weil wir auch eine gesellschaftliche Botschaft brauchen, hockt im obersten Stock die immer furchtbar ausgeglichene indianische Haushälterin und blickt auf die Manege im Parterre, wo das Experiment Zivilisation vor die Hunde geht. Stehende Ovationen.