Essen. Picasso, Karel Appel, Miró, Chagall, Dalí, Dürer und Warhol sind die Künstler, deren Werke am häufigsten geklaut werden. Kunst wird geliebt - und gerne gestohlen. Eine Recherche bei denen, die was dagegen tun.

Mit Kunstkauf und -wiederverkauf lassen sich – auch in Zeiten der Krise – sagenhafte Renditen erzielen. Da die Gegenstände, mit denen der internationale Kunsthandel seine jährlichen geschätzten 40 Milliarden Euro Umsatz erzielt, verglichen mit ihrem Wert klein und handlich sind, ist auch der Kunstdiebstahl ein einträgliches Metier und rangiert hinter Geldwäsche, Drogen- und Menschenhandel auf dem vierten Platz. In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahre 2008 genau 575 mal Kunstwerke, Antiquitäten oder sakrale Gegenständen entwendet, davon 294 »unter erschwerenden Umständen«, wie die Kriminalstatistik sich ausdrückt – da wurde also nicht nur einfach weggenommen, sondern eingebrochen oder geraubt. (Gesamtzahl der 2008 in NRW verübten Diebstähle: 35.000.) Geschätzter weltweit durch Kunstdiebstahl verursachter Schaden: 4,5 Milliarden Euro. Die Aufklärungsquote bei Kunstkriminalität liegt bei etwa 20 Prozent, weit unter dem Durchschnitt bei Diebstählen. Einer der Gründe: Weltweit sind nur etwa 10 Prozent der Kunstwerke ausreichend registriert.

// Es ist der 7. Juli 2008, ein Montagmorgen in der Jägerhofstraße in Düsseldorf. »Für Wenige Besonderes leisten«, lautet das Geschäftsprinzip des Bankinstituts Lampe, das hier seinen Sitz hat und gern vermögende Privatkunden betreut. Als die Edelbanker an diesem Wochenbeginn die Türen aufschließen, entgleisen ihnen die Mienen. Schlagartig wird ihnen klar, dass der Wahlspruch ihres Hauses heute auf ganz unerwartete Weise Realität geworden ist. Die kostbaren Bilder, mit denen sie ihre Geschäftsräume nobilitiert haben, sind weg: Gemälde von Spitzweg, Modersohn-Becker, Gabriele Münter, Carl Moll und anderen. Wie das geschehen konnte, begreifen sie nicht, ebenso wenig die gerufene Polizei, die keinerlei Einbruchspuren findet und daher zunächst vermutet, das Diebesgut sei noch im Haus. Doch dem ist nicht so. Klar ist nur: Gestohlen wurden die wertvollsten Bilder. Die anderen blieben unberührt.

Knapp ein Jahr später und ein Stück tiefer in der Düsseldorfer Innenstadt, in einem typischen deutschen Behördenbüro. Zwei Schreibtische, ein Kleiderschrank, Aktenschränke, Topfpflanzen. Peter Lückert blättert in einer Akte, liest vor: »Lampe-Bank. Entwendet wurden acht Gemälde sowie eine Porzellanvase. Drei Millionen. Hinterließen keine Aufbruchspuren.« Dann hebt er den Kopf und sieht seinen Besucher listig lächelnd an: »Keine Aufbruchspuren. Da kann man sich seinen Reim draus machen, nicht?« Peter Lückert ist Kriminalhauptkommissar, er gehört zum Kriminalkommissariat 32 der Direktion Kriminalität. Wie alle Nicht-Fernseh-Kriminalbeamten in Deutschland trägt er hinter seinem Schreibtisch keine Dienstwaffe, wohl aber hängt eine schusssichere Weste im Kleiderschrank. Denn Lückert, ein freundlich-ruhiger Endfünfziger, der gern Witzchen macht, ist hauptsächlich zuständig für Straßenraub. Daneben aber betreut er ein Feld, auf dem er sich selbst zum Spezialisten ausgebildet hat (»Ich musste mir viel anlesen«): den Diebstahl von Kunst. Das ergab sich, weil es in Düsseldorfs Innenstadt viele Museen und Galerien gibt und weil spezielle Dezernate für Kunstkriminalität bei den Polizeibehörden in NRW nicht existieren, auch keine Abteilung beim LKA wie etwa in Baden-Württemberg. Ob ein Picasso gestohlen wird oder ein Fahrrad, beides ist Diebstahl, gehört ins Diebstahlsdezernat und wird mit demselben Eifer verfolgt.

Bilanz- und Rufschädigend

Obenmarspforten, eine Gasse der Kölner Innenstadt. Hier residiert, eingeklemmt zwischen Geschäften und Restaurants, das Deutschland-, Österreich- und Schweiz-Büro des Art Loss Registers, der Sammel- und Recherchefirma für gestohlene Kunst. Geschäftsführerin der Niederlassung ist Victorine Stille, eine quirlige junge Frau mit hinreißendem niederländischen Akzent. Eine »Mischung aus Kunstgeschichte und Betriebswirtschaft« hat sie studiert und macht nun das, was auch Kommissar Lückert meist nur tun kann: warten, bis ein gestohlenes Werk wieder auftaucht. Was für beide nicht bedeutet, die Hände in den Schoß zu legen. Lückert etwa schickt nach einer Anzeige seine Kollegen von der Sachfahndung los, »die gehen jeden Tag rum und gucken in Pfandhäusern, in An- und Verkaufsgeschäften usw. nicht nur nach Kunst, sondern auch nach Handys, nach allem was verkauft wird. Meistens hat man ja keine Täterbeschreibung, nicht mal ein Foto von dem gestohlenen Werk«, klagt Lückert mit resignierendem Achselzucken. In den seltensten Fällen besitzen die Leute eine genaue Charakteristik ihrer Schätze. »Monet, Landschaft« – eine solche Beschreibung macht es auch für die Cracks vom Art Loss Register unmöglich zu helfen.

Das ALR wurde 1991 gegründet, weil große Versicherungen es leid waren, immer wieder den Verlust teurer Kunstwerke zu regulieren. Und weil große Auktionshäuser darunter litten, immer wieder Werke anzubieten, die sich als gestohlen herausstellten. Das eine ist bilanz-, das andere rufschädigend. Eine Kombination aus Datenbank und Internet war die Lösung. Wem jetzt ein Werk gestohlen wird, der übermittelt dessen möglichst genaue Beschreibung ans ALR. Wer jetzt ein Werk kaufen oder verkaufen will, der fragt beim ALR an, ob über das gute Stück böse Dinge bekannt sind. Besser gesagt: Er sollte dies tun.

Der Galerist wird abgelenkt

Selten verläuft die Arbeit des ALR spektakulär. Im Falle zweier 2001 unterschlagener Bilder des Malers Sigmar Polke aber doch. Der Dieb, ein 62-jähriger Deutscher, bot die Arbeiten wenige Monate später zum Verkauf an. Das ALR erfuhr davon, eine Mitarbeiterin gab sich als Interessentin aus und traf den Verkäufer in einem Münchner Café. Da die anderen Gäste vorwiegend Kriminalbeamte waren, konnte der Kunstdieb festgenommen werden. Er wurde zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Der spektakulärste Fall des Düsseldorfer Kriminalkommissars Peter Lückert betraf eine Bande von Kunstdieben und -räubern, die sich europaweit auf wertvolle Jugendstil-Keramik spezialisiert hatte. Als sie 1995 eine Düsseldorfer Galerie überfiel, konnte

Lückert sie festnehmen lassen. Die Spur führte in die USA – einer der seltenen Fälle von Auftragsdiebstahl, auch wenn die Hintermänner nie gefasst und die Keramiken nicht wieder gefunden wurden.

200.000 Objekte fasst die ALR-Datenbank derzeit, allerdings nicht nur Rembrandts: »Wir nehmen alles auf, was man sammeln kann, außer Wein«, sagt Victorine Stille. Also Kunst, Antiquitäten, Schmuck, wertvolle Bücher usw., Mindestwert 1.000 Euro. »Bedingung: Es muss eindeutig identifizierbar sein. Wir haben sogar ein Auto von James Bond im Register, das wurde bei den ›Goldfinger‹-Dreharbeiten gestohlen.« Pro Jahr kommen 10.000 Objekte hinzu, davon etwa 150 in Deutschland. Die meisten der Klienten Victorine Stilles sind Privatleute, »weil deren Örtlichkeiten am schlechtesten gesichert sind«. Die meisten Geschädigten in Peter Lückerts Kartei sind Kunsthandlungen: »Die sind meist personell schwach besetzt. Der eine Täter lenkt den Galeristen ab, der andere hängt ab und verschwindet.«

Das »Warten, bis das Kunstwerk irgendwo wiederauftaucht«, zu dem der Kommissar sich gezwungen sieht, bedeutet für die Detektivin und ihre Kollegen in der Regel sitzen und abgleichen. Stille: »Ein Auktionshaus wie Lempertz hier in Köln, das ein Abonnement beim ALR besitzt, schickt uns den Katalog seiner nächsten Versteigerung ein paar Wochen im Voraus. Und wir checken dann die Objekte, die dort aufgeführt sind, mit unserem Register ab.« Auf Kunstmessen in aller Welt allerdings – von London über Köln und Basel bis nach Schanghai – setzt auch das ALR zu aktiver Sachfahndung an: Blick nach links aufs angebotene Kunstwerk, Blick nach rechts in den Laptop mit dem Datenbestand.

London, Paris, Amsterdam und New York

Warum machen sich die Galerien und Auktionshäuser nicht selbst die Mühe des Abgleichs? »Weil unsere Datenbank verschlossen ist. Man kann zwar sein entwendetes Kunstwerk via Internet eintragen. Aber man kann niemals sehen, was alles sonst noch gestohlen ist. Wir wollen nämlich keine Einkaufsliste für Kriminelle bereitstellen, die dann schnell raushätten: Aha, der und der wurde beklaut, vielleicht gibt’s da noch mehr zu holen.« Und der Dieb, der seine Trophäe verhökern will, wüsste auch sofort, ob sie erkennbar registriert ist oder nicht.

Das sind nachvollziehbare Gründe; andererseits bietet die geschlossene Datenbank ein geschütztes Geschäftsmodell für die Firma Art Loss Register GmbH, die für den Eintrag eines Verlusts zwar nur 15 Euro kassiert, fürs Wiederbeschaffen aber einen Finderlohn von 15 bis 20 Prozent des Kunstwerkwertes. Die Kunstfahnderin freut sich, dass mittlerweile alle großen Auktionshäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz dieses System mittragen, die ALR-Mitbegründer Sotheby’s und Christie’s sowieso. Für Jahresbeiträge zwischen 2.000 und 8.000 Euro prüft das ALR jedes Auktionslos. Mittlerweile hat die Firma neben dem Gründungsort London Niederlassungen in Paris, New York, Amsterdam und eben Köln. Hier beschäftigt das ALR drei feste Mitarbeiter, weltweit zirka 50.

Harmlose Legende

Bildervergleichen ist äußerst mühsam. Bei der Polizei tut dies systematisch nur das BKA. Nach Stichwörtern suchen aber kann blitzschnell der Computer, die Synonymstruktur der Datenbank des ALR hilft, die Falle der Beschreibungsvarianten gering zu halten. Die Suche nach »Pietà« etwa wirft auch Objektskizzierungen aus, die »Frau«, »Kind«, »Maria«, »Jesus« beinhalten. Hundert Prozent treffsicher ist dieses Verfahren jedoch nicht, das darauf wartet, von einer Bildvergleichssoftware abgelöst zu werden.

Gibt es beim Durchmustern eines Katalogs einen Treffer, wird es spannend. Dann wird zuerst, erzählt Frau Stille, bei der Polizei angefragt, ob das Werk noch als gestohlen geführt wird. Ist dies der Fall, wird das betreffende Handelshaus informiert, bei dem die Polizei in der Regel das inkriminierte Objekt sofort beschlagnahmt. Danach beschäftigt sie sich mit dem »Einlieferer«, denn in fast allen Fällen wird versucht, ein gestohlenes Kunstwerk, gern mit einer harmlosen Legende versehen (»lag auf dem Dachboden meiner Großmutter…«), zu Geld zu machen. An dem Gerücht von reichen Geheimsammlern à la Dr. No, die Kunstdiebstähle im großen Stil in Auftrag geben, zweifeln Stille wie Lückert gleichermaßen. Auch bei der Kunstkriminalität macht wohl eher Gelegenheit Diebe; und auch hier sind es Geld- und Geltungssucht, die viele Täter überführen.

Überbietungswettkampf rivalisierender krimineller Banden

Denn: Wer Kunst klaut, will sie nicht anschauen, sondern Geld damit verdienen. Zumal man, zumindest in Deutschland, niemals der Eigentümer eines gestohlenen Kunstwerks werden kann. (Allerdings verjährt Diebstahl nach spätestens zehn Jahren.) Daher nimmt die kriminelle Taktik des Art Nappings, also der Kunsterpressung, zu. So wurden 1994 Meisterwerke von Turner und C. D. Friedrich aus der Frankfurter Schirn geraubt und in spektakulären Aktionen von den Eigentümer-Museen in London und Hamburg zurückgekauft – von den Räubern bzw. ihren Hehlern. Wobei gewaltige Summen flossen. Aber hinter einem Kunstdiebstahl größeren Stils können auch andere Hintergründe stecken, sagt Victorine Stille. Der Raub des »Schrei« von Edvard Munch 2004 habe sich im Nachhinein als Überbietungswettkampf zweier rivalisierender krimineller Banden in Oslo herausgestellt.

Spektakuläre Fälle dieser Größenordnung hat Kommissar Lückert nicht anzubieten. Immerhin haben er und seine Kollegen vor einiger Zeit mal ein aus einer Galerie gestohlenes Bild der Düsseldorfer Malerschule gerettet, indem sie sich gegenüber den Dieben als Käufer ausgaben. »Wir haben uns dann im Neandertal verabredet und den Täter festgenommen.« Mehr darf er leider darüber nicht erzählen. Noch ebenso ungeklärt ist der Diebstahl eines mit 3 × 1,30 Metern riesengroßen, 90.000 Euro teuren Gemäldes von Jörg Immendorff aus einer Kanzlei in der Landeshauptstadt im Dezember 2007.

Zerteilt nach China

Ein besonders schreckliches, weil besonders banales Motiv zum Skulpturendiebstahl ist der gestiegene Edelmetallpreis. So ist, fürchtet Kommissar Lückert, die vor einiger Zeit aus dem Hof des Düsseldorfer Stadtmuseums entwendete Büste Ferdinand Lassalles wohl beim Schrotthändler gelandet. Auch eine zwei Tonnen schwere Bronzeskulptur von Henry Moore in England erlitt dieses Schicksal: Sie ging zerteilt nach China, als Altmetall für 1500 Pfund. Das Gros der verschwundenen

Kunst aber machen Gemälde und andere Flachwerke aus: Selbst ein riesengroßer Immendorff lässt sich aus dem Rahmen schneiden und handlich rollen.

Picasso, Karel Appel, Miró, Chagall, Dalí, Dürer und Warhol

Jetzt ist er weg und wird es vermutlich lange bleiben. Ebenso wie die Gemäldesammlung der Lampe-Bank. Auf den Bildschirmen des ALR sind beide Diebstähle zu sehen. »Die Sachen jetzt zu verkaufen, wäre fatal«, hatte Lückert gesagt. Kann jemand so dumm sein? »Doch. Davon leben wir. Gott sei Dank!«, meinen Lückert wie Stille mit fast gleich lautenden Worten. Gestohlene Immendorffs gibt es nur acht im Art Loss Register, am liebsten werden Picasso, Karel Appel, Miró, Chagall, Dalí, Dürer und Warhol geklaut, in dieser Reihenfolge. »Picasso« ergibt als Suchwort 741 Treffer. 230 Millionen Euro beträgt der Wert der bislang vom ALR wieder aufgespürten Werke. Ein schöner Erfolg. Das Register selbst aber wächst stetig. Ein unschönes Zeichen. //

Text: Ulrich Deuter / erschienen in K.WEST Ausgabe Julie / August 2009