Essen. Boy meets girl - jahrzehntelang waren sie das mobile Versprechen auf die Erfüllung erotischer Phantasien von Pärchen. Heute umgibt sie der nostalgische Charme einer untergehenden Ära. Um der alten Zeiten willen: das Autokino, was es einmal war und nicht mehr sein kann.

// Hier sind wir am falschen Platz. Das Autokino, mag es auch aufgerüstet sein mit 1.000 und mehr Stellplätzen und einer Leinwandgröße von 15 mal 36 Metern, braucht das richtige Hinterland, damit der Besucher sich darin mental einbetten kann. Man muss Weite ahnen, darf die Begrenztheit nicht spüren, die beengten Verhältnisse. Obwohl deutsche Städte längst Außenbezirke haben, wie wir sie aus Amerika – dem wirklich wahren und dem echt nachgestellten – kennen. Die Kulissen für das Movie-Drive-in, wie das Kino selbst in allerhand Mythen stiftenden Beispielen überliefert hat, ähneln sich. Trotzdem fehlt etwas.

Um der alten Zeiten willen

Autokino... war einmal. (c) imago
Autokino... war einmal. (c) imago © Unbekannt | Unbekannt





Vor gut 75 Jahren gingen im Autokino die Scheinwerfer der Fahrzeuge aus und das Licht der Projektionsmaschine an. Das Patent trägt die Nummer 1.909.537 und wurde von Richard M. Hollingshead jr. eingereicht. Der Sohn von Autopflegemittelherstellern fing klein an, klemmte eine Leinwand an die Bäume im Garten, stellte ein Radio dazu, ließ Daddys Fuhrpark anrollen und nannte das improvisierte Ensemble »Drive In Theatre«. Nachdem mancherlei ausprobiert worden war und etwa Sichttests für Regen mit Hilfe eines Rasensprenklers zur Zufriedenheit verlaufen waren, ging in Camden / New Jersey 1933 das erste Drive-in an den Start.

Auf seinen Boom in den späten Fünfzigern und Sechzigern, als in 4.000 Autokinos nicht nur Motoren heiß liefen, folgte das Siechtum, bis sich mittlerweile ein nostalgisches Gefühl entwickelt hat, von dem etwa 350 Autokinos profitieren, nicht zuletzt dank der Oldtimer-Clubs, die sich an dem Ort in ihrem Element fühlen.

»Mein Gott, wie hässlich ist diese Stadt doch geworden.« Sagt Boris Karloff in der Rolle des Byron Orlok in Peter Bogdanovichs »Targets« von 1968, als die Ära der Autokinos ihren Zenit schon überschritten hatte und ein Melancholiker zu wähnen vermochte, dass alle guten Filme bereits gedreht worden seien. Weshalb »Targets – Bewegliche Ziele« auch das finsterste Beispiel dafür ist, was sich anrichten lässt mit dieser und auf dieser nationalen Kultstätte, die Amerikas Uridee des »move on« – Bewegung und Geschwindigkeit – gewissermaßen im Angesicht von 35 oder 70 mm arretiert: ein Massaker. Die gigantische Leinwand nicht als Versprechen, sondern als Bedrohung.

Zu zweit durch die Nacht

Umgeben von der Nacht: Menschen im Autokino. (c) imago
Umgeben von der Nacht: Menschen im Autokino. (c) imago © Unbekannt | Unbekannt





Die hässliche Stadt ist Los Angeles, mithin Hollywood, von wo Orlok, der sich als Vertreter des alten Studiosystems selbst eine Antiquität, einen Anachronismus nennt, zu seiner Last Picture Show fährt – einem Auftritt im Autokino. Der Kunst- und Künstlername Orlok wiederum verweist auf den legendären Dracula alias Nosferatu und somit auf Karloffs Karriere im klassischen Horrorfilm-Genre. Aber das zu erzählen wäre eine andere Geschichte.

Drei Generationen Amerikaner haben auf den Vorder- und Hinterbänken der Limousinen mehr Spaß gehabt, als ihre Nachfahren heutzutage bei Videoplay und DVD-Abend, auch wenn das Projekt eigentlich für die ganze Familie gedacht war und vor allem ländliche Gegenden profitieren sollten. Die Kurzformel für das, wovon das Kino erzählt, trifft auch auf das Konzept des Autokinos zu: boy meets girl. In der mobilen Einsatzzentrale erotischer Phantasie wurden die Pärchen – je nachdem – beflügelt oder gelähmt von den Sternen am Leinwandhimmel. Ob es sich mit Marilyn Monroe, Doris Day oder Audrey Hepburn als überlebensgroßen Lehrmeisterinnen wirklich besser küsst? Die Pubertierenden parkten für die Übungsstunden bevorzugt in der letzten Reihe, für die sich als Nahkampfname »love lane« etablierte.

Während man sich anfangs einen Zehn-Watt-Lautsprecher holte und am Seitenfenster befestigte, ließ sich ab den Siebzigern der Sound über den Kassettenrekorder einspielen, heutzutage empfängt man den Ton in Dolby Stereo über eine UKW-Frequenz im Autoradio (90,5 MHz).

»Everytime I have a date there's only one place to go /

That's to the drive in /

It's such a groovy place to talk and maybe watch a show /

Down at the drive in /

Forget about the plot, it'll do very well /

But make sure you see enough so

you're prepared to tell /

About the drive in …«

Eigentlich ist in zwei Strophen der Beachs Boys und vor allem mit dem maybe alles gesagt. In ihrem Song »Drive-In« aus dem Album »All Summer Long« von 1964 singen sie davon, worum es geht beim Unterhaltungsprogramm Autokino.

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Schnurgerade Straßen führen entlang von Neonreklamen, die Supermärkte und Motels flankieren und annoncieren. Darauf Wagen wie Cremeschnitten mit üppigen Kurven und aggressiv steilen Heckflossen, deren Weg das Ziel ist. Man fährt einfach nur rum und hat Spaß daran, was in energiebewussten Zeiten und mit ökologisch korrekten Autos natürlich nicht mehr geht. Im Radio Rock’n’Roll oder die Stimme von Brenda Lee. Elvis-Tolle und James-Dean-Blouson hinterm Steuer und auf dem Nebensitz das Mädchen mit wippendem Pferdeschwanz und Zahnspange, das aussehen möchte wie Sandra Dee.

Das ist das Material aus dem Bilder-Reservoir einer Epoche, in der Hits noch »Heuler« hießen. So haben es George Lucas als Autor und Regisseur und Francis Ford Coppola als Produzent ein Jahrzehnt später, 1973, in »American Graffiti« nachgedreht, indem sie eine Handvoll Teenager bei ihrem vergeblichen Versuch beobachten, auf ewig 17 bleiben zu wollen. Eine Nacht lang, bevor das Leben beginnt und die Träume enden. Eine Nacht lang, in der die ständige PS-gestützte Bewegung nichts als Stillstand produziert.

Als Blockbuster noch "Heuler" waren

Amerikaner leben in ihren Autos. (c) imago
Amerikaner leben in ihren Autos. (c) imago © Unbekannt | Unbekannt





Deutschland erfuhr vom Autokino während des Wirtschaftswunders. In Erlangen testete die Firma Frieseke & Höpfner einen speziellen lichtstarken Projektor bei einer Open-Air-Vorfüh-rung, nicht gerade mit durchschlagendem Erfolg. Im Spiegel wurde Ende 1954 der Projekteiter zitiert: »In Deutschland sind die Autos noch nicht, wie in Amerika, die verlängerten Beine der breiten Masse. Die Amerikaner leben in ihren Autos, sie essen und schlafen in ihnen, kochen Kaffee, rasieren sich und telefonieren im Auto. Für die Deutschen dagegen ist das Auto noch mehr ein Mittel, mit dem man auf schnelle Weise Geld verdienen und das man von der Steuer absetzen kann.«

Um 1960 hatte sich das Phänomen dann bei uns durchgesetzt, nicht nur bei den GIs, sondern auch bei der Generation Peter Kraus und Co. Die Autokinos in Köln und Essen, die sich neben anderen damals gründeten, sind heute wieder in Betrieb. Insgesamt gibt es an die zwanzig, die meisten davon in den neuen Ländern: ein Wendemanöver.

Rauchen ist erlaubt

Autokino - Highway 39. (c) imago
Autokino - Highway 39. (c) imago © Unbekannt | Unbekannt





Für sechs, sieben Euro pro Person laufen, wenn die Lichter ausgehen und es dunkelt, vor allem Blockbuster. Der Besucher wird vorsorglich mit Informationen und Hilfsgütern für alle Eventualitäten versorgt. Sollte es regnen, sagt der Kenner, reibt man die Windschutzscheibe mit einer angeschnittenen Kartoffel ab, da perlen die Tropfen gut ab. Ein Heizlüfter erwärmt kühle Nächte. Als Alleinstellungsmerkmal gilt: Rauchen ist erlaubt – schließlich sitzt man im eigenen Auto. Hunde und Babys sind ebenfalls willkommen. Das Knistern der Tüte Chips stört, anders als im Multiplex, nicht die Nachbarn. Man muss keine Karte reservieren. Und Parkplätze gibt es ohnehin satt.

Am Ende von Bogdanovichs »Targets« wird der junge Bobby Thompson abgeführt. Zuvor hat ihn das amerikanische Familienleben, seine aseptische Sauberkeit, sterile Erotik und von Generation zu Generation vererbte Idyllisierungs-Ideologie in die Neurose, in Koller und Amoklauf geführt. Seine Frau, seine Mutter und seinen Bruder sowie wahllos Menschen in Autos hat er von einem Fabrikdach aus erschossen, sich dann hinter der Kinoleinwand des Autokinos verbarrikadiert und von dort aus einzelne Zuschauer abgeknallt.

Verabredung mit dem Tod

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Nun, nach seiner Verhaftung, sieht man das Panorama des leeren Platzes mit dem Block der Vorführkabine und einem einzelnen einsam geparkten Auto, dem des Täters. Ein Unort. Ein Geisterort. Nichts als Gespenster. Kein Rendezvous im Mondenschein. Sondern die Verabredung mit dem Tod.

Amerika hat schon immer selbst am wirkungsvollsten seine eigenen Mythen demontiert. //

Text: Andreas Wilink / erschienen in K.WEST Ausgabe Juli/August 2009

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