Berlin. .
Das Deutsche Historische Museum untersucht die Rolle der Polizei im „Dritten Reich“. „Ordnung und Vernichtung“ heißt die Berliner Aufarbeitungs-Ausstellung fünfzig Jahre nach dem Eichmann-Prozess.
Die NS-Täter sind hochbetagt oder tot – aber ihre Seilschaften wirken fort: „Bis tief in die 90er Jahre“, so der Polizeihistoriker Wolfgang Schulte aus Münster, hielten sich massive „Forschungstabus“, errichtet von einflussreichen Alt-Beamten. Ehemalige NS-Eliten waren reibungslos aus der SS in die bundesdeutschen Behörden gewechselt, wie gerade eine Studie des Bundeskriminalamts gezeigt hat. Und jetzt? Noch immer hält etwa der Bundesnachrichtendienst Akten zum Fall Adolf Eichmann unter Verschluss, ein halbes Jahrhundert nach dem Prozessauftakt in Jerusalem. Wo steht die NS-Aufklärung im Jahr 2011? Drei Momentaufnahmen aus dem Berliner Ausstellungsbetrieb.
Die Legende vom sauberen Polizisten
Ende März, die Debatte um die Beteiligung des Auswärtigen Amts an den NS-Verbrechen ist gerade ein paar Monate alt, da horchen die Journalisten im Hörsaal des Deutschen Historischen Museums auf. Der Münsteraner Polizeihistoriker Schulte beklagt: Die Rolle der Polizei im NS-Staat kommt zwar im Lehrplan der Polizistenausbildung vor, werde aber häufig nicht unterrichtet, „weil das Personal dazu fehlt“.
Hinzu kommt: die Legende von der sauberen Polizei. Viel zu lange, beklagten Polizeihistoriker, hätten junge Polizisten die Mär von der harmlosen Rolle der einfachen Ordnungshüter und Kriminalpolizisten in der NS-Zeit gehört. Neben Gestapo und SS seien allenfalls die berüchtigten Sondereinsätze einzelner Polizeibataillone beim Völkermord im Osten bekannt. Doch steckten, wie jetzt eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) zeigt, auch die regulären Einsatzkräfte bis zur „Halskrause“ im braunen System. „Die Polizei verhält sich üblicherweise systemerhaltend. So, wie das System ist, so ist auch die Polizei“, sagt Klaus Neidhardt, Präsident der Hochschule der Polizei in Münster. Die Dokumentation der Münsteraner Forscher wird von den Innenministern der Länder mit 1,3 Millionen Euro finanziert.
50 Jahre Eichmann-Prozess
Wenige hundert Meter weiter, im Dokumentationszentrum der „Topographie des Terrors“, über den Fundamenten von Hitlers Terrorzentrale, sieht man, warum die Seilschaften der NS-Eliten nach 1945 so mächtig und so besorgt um den Ruf ihrer Behörden waren – sie fürchteten den Eichmann-Effekt.
Am 11. April 1961 beginnt in Israel der Prozess gegen den SS-Offizier. In Deutschland sendet die ARD Gerichtsberichte aus Jerusalem zweimal 20 Minuten pro Woche nach der Tagesschau. Adolf Eichmann verteidigt sich in einer schusssicheren Glaskabine – das Bild geht um die Welt. Hannah Arendt prägt das Wort von der „Banalität des Bösen“, Eichmann als schlichter Mensch, als „Spediteur des Todes“, der zu einem der größten Verbrecher der Geschichte werden konnte.
50 Jahre später sitzt der 84-jährige Gabriel Bach im Ausstellungsraum der „Topographie“. Mitte Mai soll die Glaskabine aus dem Jerusalemer Prozesssaal hier ausgestellt werden. Bach kennt sie von damals. Er war stellvertretender Ankläger, ein junger deutscher Jude, rechtzeitig über Holland nach Palästina entkommen. An diesem Aprilmorgen erzählt er von den Zeugenaussagen im Prozess. Wie der Richter eine Viertelstunde Pause einlegen musste, nach dem Bericht über ein Kind, das durch einen Zufall aus der schon verschlossenen Gaskammer wieder herauskam und wohl als einziges seiner Gruppe überlebte. Der 11. April 1961 ist der Auftakt der Ära der Zeitzeugen – zum ersten Mal nimmt die Weltöffentlichkeit die Geschichte der Opfer in den Blick.
Bis heute hält der Bundesnachrichtendienst (BND) einschlägige Akten über Eichmann unter Verschluss. Die Begründung: Persönlichkeitsrechte von noch lebenden Personen seien gefährdet. „Wen will man denn schützen?“ fragt Norbert Kampe, Leiter der Gedenkstätte im Haus der Wannsee-Konferenz. „Die alten Nazis sind doch tot oder nicht mehr im Dienst. Das ist ein später Versuch, die Schande zu vertuschen, dass die frühe Bundesrepublik hohe Nazis geschützt hat.“
Zehn Jahre Jüdisches Museum
Rund 500 000 Besucher kommen jedes Jahr zur „Topographie des Terrors“, an den Ort der Täter. Einige hundert Meter weiter im Osten, im Jüdischen Museum, sind es deutlich mehr. Seit der Eröffnung vor zehn Jahren kamen knapp sieben Millionen Besucher, zwei Drittel davon aus dem Ausland. Ein Großteil der Gruppen sind Schulklassen.
Das Jubiläum feiert das Museum ab September mit der Ausstellung „Heimatkunde“. Es soll eine Art Inventur sein im deutschen Leitkulturdebattenregal – mit seinen kollektiven Erinnerungen und nationale Mythen. Darunter auch der Mythos vom Neuanfang nach 1945.