Duisburg. .

Er ist ein Formenerfinder, Verwandlungskünstler und einer der bedeutendsten Bildhauer unserer Zeit. Das Duisburger Museum Küppersmühle widmet Tony Cragg nun eine große Werkschau. „Dinge im Kopf“ stellt selbst Hamlet auf einen breiten Holzfuß.

Alles beginnt mit einer Vorstellung, einer Vision. Für Tony Cragg, den Bildhauer und Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie, sind bloße Ideen aber längst „Dinge im Kopf“. Diesen treffenden Titel trägt die staunenswerte Werkschau in der Duisburger Museum Küppersmühle, die Cragg nun als Meister der materialisierten Möglichkeiten vorstellt, als leisen Denker der großen Dinge.

Schwebende Schwere

Der 61-jährige gebürtige Brite zählt seit Jahren zu den großen, international erfolgreichen Bildhauern, seine Auszeichnungen und Ehrentitel türmen sich wie seine kunstvoll geschichteten Skulpturen. Dass neben der Duisburger Küppersmühle derzeit auch der Pariser Louvre Craggs Kunst mit einer großen Werkschau würdigt, animiert den sympathisch-bescheidenen Formenfinder und Verwandlungskünstler aber bloß zu noch mehr britischem Understatement: „Kunst ist etwas, das unvorstellbar wichtig ist. Und ich freue mich, ein Teil davon zu sein.“

Als Teil der Kunst arbeitet er seit Jahren höchst erfolgreich gegen die Reduzierung der Formen auf ihre bloße Zweckdienlichkeit, gegen die Beschränkung der Dinge auf ihre reine Funktion. Craggs Kunst ist ein flammendes Credo gegen das Diktat des reinen Form-follows-function-Denkens, gegen eine Verarmung der Welt durch eine rein ökonomische Wahrnehmung. „Es gibt viel mehr Dinge, die es nicht gibt, als Dinge, die es gibt“, sagt Tony Cragg.

Und so ist dieser Daniel Düsentrieb der Kunst, der in Liverpool mal Labortechniker gelernt hat, bevor er einer chemischen Reaktion namens Liebe wegen nach Wuppertal kam, ständig auf der Suche nach neuen Formen und Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Ausstellung zeigt, wie sie vom Kopf aufs Blatt finden, zeigt, wie sie später in unterschiedlichen Varianten durchgespielt werden. Craggs Thema ist das Material: Holz, Stein Glas, Kunststoff, Bronze. Und der Wandel. „Jede Änderung des Materials ist eine Änderung im Kopf.“ Bei ihm können gewaltige Bronzen von schwebender Schwere sein, können sich Abfallberge zum kunstvollen-sortierten Wandrelief türmen

Auf diese frühen, noch flächigen Recycling-Arbeiten wie „Riot“ folgt das Streben in den Raum. Immer voluminöser, immer höher ragen die Skulpturen in die hohen, lichten Ausstellungshallen, die gemacht sind für die rund 50 Skulpturen, Zeichnungen und Grafiken Craggs. Für die signalrote „Large Standing Figure (2008), die wie ein Totempfahl der Neuzeit in die Höhe ragt. Für die gelbe Skulptur „Outspan“ (2008), eine eigenwillige Kreuzung aus Muschelurform und Ohrläppchen. Oder die kraftvoll geschwungene Bronze „Lost in Thought“ (2005), bei der sich mehrere schlanke Säulen wie im stillen Zwiegespräch zueinander neigen, weltabgewandt und gleichzeitig doch offen für jede Deutung.

Wechselspiel von Statik und Dynamik

Wer Craggs Kunst erfassen will, der muss sie umrunden, erforschen, möchte diese gewaltigen, rätselhaften Ungetüme buchstäblich begreifen können. Die glänzend-glatte Bronzehaut des dynamisch in den Raum federnden „Runner“ (2009). Das weich gerundete Holz des riesigen „Hamlet“ (2010). Die perforierte Oberfläche von „The Skin“ (1997). Oder die gummrig-matte Oberfläche von „Boy“, die einem aufgeblasenen Riesenkondom nicht unähnliche Bodenskulptur. Cragg weiß um die ewige Wiederholung des alten Formenkanons in der Kunst, und versteht es doch, die Zutaten wie nach einer kreativen Kernschmelze doch einmal in eine neue Erscheinungsform zu gießen. Das Ergebnis ist ein aufregendes Wechselspiel von Statik und Dynamik, von innerer Energie und äußerer Leichtigkeit. Ein spektakuläres Spiel der Möglichkeiten, an dessen Umsetzung in seinem Wuppertaler Atelier bis zu 20 Mitarbeiter beteiligt sind.

„Jedes Werk, sagt Cragg, „ist eine Kette von Entscheidungen.“ Und ein sinnlicher Kommentar zum Stand der Dinge in der bildenden Kunst. Und in Craggs Kopf.