Wuppertal.
Das Wuppertaler Tanztheater bleibt in Bewegung: Zehn Monate nach dem Tod von Pina Bausch, der wohl bedeutendsten Choreographin unserer Zeit erklärt der künstlerische Leiter Robert Sturm, wie das funktioniert.
Am 30. März 2009, wenige Tage nach der Uraufführung ihres neuesten Stücks, starb Pina Bausch, die weltweit wohl bedeutendste Choreographin unserer Zeit. Und alle Welt fragte sich, wie es weitergehen würde mit dem Wuppertaler Tanztheater. Schnell wurden der Tänzer Dominique Mercy und Pina Bauschs künstlerischer Assistent Robert Sturm an die Spitze des Tanztheaters berufen, wurden Fragen der Aufführungsrechte geklärt, die nun bei Pinas Sohn Salomon liegen. Seitdem spielt die Compagnie Abend für Abend vor - wie früher - ausverkauften Häusern. Rolf Pfeiffer sprach mit dem künstlerischen Leiter Robert Sturm.
Das Tanztheater zeigt Pina Bauschs Stücke wie zu ihren Lebzeiten. Ist „The show must go on“ die Devise?
Robert Sturm: Wir haben in dieser Spielzeit sogar deutlich mehr gespielt, weil wir kein neues Stück erarbeiten mussten. Im Durchschnitt machen wir mindestens 30 Vorstellungen in Wuppertal und 55 bis 65 unterwegs. In dieser Spielzeit werden es 20 mehr, nicht mitgerechnet die 16 Aufführungen von „Kontakthof“ mit Teenagern bzw. Senioren.
Wie würden Sie ihre Arbeit beschreiben? Ist es so etwas wie Nachlassverwaltung?
Sturm:Hauptziel ist, Pinas Stücke, – weit über 40 – zu spielen.
Geht das denn in jedem Fall? Viele Stücke sind doch sehr stark an bestimmte Tänzerinnen und Tänzer gebunden, die gar nicht mehr im Ensemble sind.
Sturm:Wir werden jetzt zum Beispiel wieder „Two Cigarettes in the Dark“ in den Spielplan aufnehmen, das ist seit 1996 nicht mehr gelaufen. Teilweise werden neue Tänzer die Rollen übernehmen. Die Übernahme von Rollen war auch in der Vergangenheit nicht ungewöhnlich.
Woher wissen die Tänzer, was sie zu tun haben?
Sturm:Alle Choreographien sind sehr genau aufgezeichnet, in persönlichen Aufzeichnungen, Regiebüchern und auch auf Video in unserem Archiv. Außerdem leben viele ältere Ensemblemitglieder noch in der Umgebung. Sie kommen häufig her und leiten ihre Rollen-Nachfolger an.
Kennzeichnend für das Tanztheater von Pina Bausch sind Künstler, die schon seit Jahrzehnten dabei sind, viel länger als in einem klassischen Ballett. Etliche starke Frauen fallen einem ein. Auch Herr Mercy müsste doch schon Mitte 50 sein...
Sturm:Kaum zu glauben, aber er ist schon 60! Teilweise übergibt auch er bereits Rollen an jüngere Tänzer. Aber Stücke wie „Nelken“ oder „Bandoneon“ sollte er unbedingt noch machen, so lange wie möglich.
Noch einmal zurück zur künstlerischen Nachfolge. Sicherlich wird man etliche Jahre noch Pina Bauschs Stücke spielen können, aber doch nicht für alle Zeiten. Wie könnte die fernere Zukunft aussehen?
Sturm:Wichtig ist, dass man sich für die Nachfolge die nötige Zeit lassen kann. Wir stehen noch unter keinem äußeren Zwang. Im Vergleich zu anderen Compagnien sind wir in einer besonderen Situation. Das Geld von Stadt und Land fließt weiter und wir erhalten von ihnen in jeder Hinsicht Unterstützung. Rückmeldungen, die wir bekommen, sagen, dass ein Qualitätsverlust bisher nicht erkennbar ist, weder bei der Besetzung noch bei den einzelnen Abenden. Die Anzahl der Gastspielanfragen ist unverändert hoch.
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Sturm: Am 24. Februar kommt der 3D-Film von Wim Wenders heraus. Er ist abgedreht, jetzt werden noch technische Feinarbeiten ausgeführt. „Pina – tanzt, tanzt, oder wir sind verloren“ ist der Titel. Im Juni – Juli 2012 werden wir im Rahmen der „Cultural Olympiade“, kurz vor den Olympischen Spielen innerhalb von nur 5 Wochen mit 20 Vorstellungen von 10 verschiedenen Stücken – im „olympischen Geist“ allesamt internationale Koproduktionen – in London auftreten.
Tritt Mechthild Großmann eigentlich noch auf?
Sturm:Ja, in „Two Cigarettes“ und „Ten Chi“ ist sie auch diese Spielzeit mit dabei. Und Lutz Förster, der ja mittlerweile Folkwang-Professor ist, bei „Nelken“. Unsere Planung geht derzeit bis 2013, und auch da haben wir schon viele Angebote.
Täuscht der Eindruck, oder nehmen Sie die bekannteren Stücke jetzt häufiger als früher ins Programm?
Sturm:Das täuscht. „Kontakthof“ zum Beispiel haben wir seit 2000 nicht mehr gespielt, mit einer einzigen Ausnahme in Taiwan. Im April haben wir das Stück neu rausgeholt, Wim Wenders hat es im Schauspielhaus gefilmt, ab März ist es jetzt wieder auf der Bühne. Unser Grundziel ist, möglichst alles lebendig zu halten, kein Stück zu verlieren. Wichtig ist das Verantwortungsbewusstsein gegenüber Pinas Arbeit und der Wille, sie zu erhalten.
In den ersten Monaten nach Pina Bauschs Tode war von Unstimmigkeiten bei der Formierung des neuen Leitungsgremiums zu hören...
Sturm:Da ist nichts dran. Nach Pinas plötzlichem Tod haben alle in der Company mit viel Verantwortungsgefühl weitergemacht. Es gab niemanden, der irgendeinen Anspruch auf die Nachfolge erhoben hätte und als Dominique und ich von der Stadt offiziell aufgefordert wurden, haben wir zunächst das gesamte Ensemble gebeten, darüber zu beraten. Ohne das grundlegende Vertrauen von allen hätte das nicht funktionieren können. Pina hat immer viel Wert auf Dominiques Rat gelegt. Dominique war Gründungsmitglied des Tanztheaters und wollte die letzten Jahre eigentlich etwas ruhiger angehen. Daraus wird nun nichts. Die Kombination, er und ich, funktioniert aus meiner Sicht jedenfalls gut.
Ein Leben für den Tanz
Wir ersetzen Pina nicht als Person, wir machen weiter. Oder: Wir versuchen einfach, die Arbeit bestmöglich weiterzuführen.