Essen. .

Albert Watson ist auf dem rechten Auge blind - und sieht mit dem linken mehr als die meisten anderen Menschen. Ein Augenschmaus ist der neue Bildband „UFO“ des schottischen Fotografen - mit Kunst und Kommerziellem aus 40 Jahren Karriere.

Helena Christensen, Blumarine, New Orleans, 1991. © Albert Watson
Helena Christensen, Blumarine, New Orleans, 1991. © Albert Watson

Albert Watson ist auf dem rechten Auge blind. Mit dem linken Auge sieht er allerdings mehr als die meisten anderen – und öffnet den Betrachtern seiner Fotografien die Augen. Zum Beispiel dafür, wie seltsam und schön nackte hölzerne Hutblöcke aussehen können. Oder dafür, dass Schauspieler Sean Penn gleichzeitig Zigarettenrauch inhalieren und Coolness ausatmen kann. Und dafür, dass Pop-Superstar Michael Jackson viele Facetten hatte, ganz offensichtlich – und nicht richtig zu fassen war. Das und noch viel mehr gibt es in Albert Watsons üppigem Bildband „UFO – Unified Fashion Objectives“, einer umfangreichen Retrospektive, zu entdecken.

Ein Blick so kühl wie die Brillanten im Protz-Schmuck

Seit mehr als 40 Jahren ist der schottische Fotograf im Geschäft. Hat unzählige Film-, Rock- und Politstars für Magazine porträtiert und mehr als 250 Titel für die Mode-Bibel Vogue fotografiert.

Tommy Lee für „Details“, Los Angeles, 1996. © Albert Watson
Tommy Lee für „Details“, Los Angeles, 1996. © Albert Watson

Die Architektur von Kleidung macht Watson nicht nur mit Parallelen zu Bauten sichtbar, und dass er sich für Stofflichkeit interessiert, ist immer offenbar: Wenn er an einem Model die Beschaffenheit von weichen Haaren, glatter Haut und grobem Strick kontrastiert, etwa. Wenn er die junge Frau mit dem fließenden Kleid im harten Licht der Wüstensonne vor handbearbeiteter Lehmwand zeigt. Wenn er den kühlen Granat-Ring im saftigen Granatapfel in Szene setzt. Und wenn an „50 Cent“ der Protz-Schmuck so hart ist wie der Blick des Rappers - und wie die Pistolenkugel, die die Narbe auf seiner Schulter hinterlassen hat.

Perfekt inszenierte perfekte Körper sind eine von Albert Watsons Spezialitäten, jugendlich und/oder in Bewegung wie die Tänzerinnen der Martha Graham Dance Company, bekleidet oder nackt wie Starlet Pamela Anderson, modelliert vom Licht oder umspielt von Wasser: Sängerin Sade treibt darin wie ihre Fans in ihrer Musik und Schauspielerin Catherine Zeta-Jones trägt nichts anderes als das, was aus dem Duschkopf rieselt.

Johnny Depp guckt zärtlich und ironisch, Joaquin Phoenix sehr verletzlich

35715290.jpg

Watsons Star-Porträts lassen tief blicken: Schauspieler Johnny Depp, mit Ziegenbärtchen und Che-Guevara-Anhänger, guckt so zärtlich wie ironisch in die Kamera, Actionfilm-Darsteller Dolph Lundgren trägt einen Slip und Grace Jones und so seine Kraft zur Schau und Schauspieler Joaquin Phoenix’ Blick - und seine Narben - zeugen von Verletzlichkeit.

Für ein Porträt braucht ein Genauhingucker wie Albert Watson allerdings kein Gesicht. Bei Designerin Paloma Picasso reicht ihm die Hand mit den feuerrot lackierten Nägeln neben der Kaffeetasse mit Lippenstiftspuren in der gleichen Nuance, und eins der berührendsten Bilder in dem luxuriösen Band ist das Porträt der amerikanischen Schriftstellerin Joan Didion. Nur die Hände der damals 70-Jährigen sind zu sehen: Deren Falten, die hervortretenden Adern und Knochen haben sehr viel mit der Schönheit der exotischen Muschel zu tun, die Didion hält. Das hätten viele nicht von selbst gesehen.