Berlin. Zum ersten Mal eröffnet Tricia Tuttle eine Berlinale. Und das gelingt ihr ausgezeichnet. Der Ehrenbär wird auch gleich vergeben.

Sie macht erst mal alles richtig. Fröhlich und zugewandt steht Tricia Tuttle auf dem roten Teppich der Berlinale, die jetzt ihr Festival ist, tänzelt sogar. Fröhlich und zugewandt steht sie dann auch auf der Bühne des Berlinale-Palasts. Okay, auf der Richterskala der Bärenrampensäue steht nach wie Dieter Kosslick unerreicht oben.

Aber dessen Nachfolger Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian wirkten immer etwas steif und unglücklich auf der Bühne, als hätte man sie da hingenötigt. Ganz anders Tricia Tuttle. Ein neuer, frischer Wind. Den das Festival auch dringend braucht.

Erstmals wird die Eröffnung in sieben Städte übertragen

Und der fegt auch gleich durch die Eröffnungszeremonie. Diesmal gibt es keine politischen Reden. Das hätte sich, so kurz vor der Bundestagswahl, sowieso verboten. Und Herr Wegner wäre da wegen seiner Kultursparpolitik wohl auch ausgebuht worden. Die obligatorischen Reden von Regierenden Bürgermeistern und Staatskulturministerinnen waren aber immer überlange Sonntagsreden. Die will Tuttle auch künftig nicht haben. Das ist schon mal ein Pluspunkt.

Ein zweiter ist, dass die Eröffnung nicht mehr nur für ein paar Auserwählte im Berlinale-Palast ist. Erstmals wurde die Veranstaltung am Donnerstag auch in sieben anderen Städten übertragen: in Kinos in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart. Die Berlinale ist nicht mehr nur ein regionales Ereignis. Die neue Intendantin umarmt jeden.

Und noch ein Pluspunkt. Als Moderatorin konnte sie Désirée Nosbusch gewinnen. Eine Frau, die den Job seit Kindertagen macht. Und gut macht. Die auch eine starke Schauspielerin ist. Und deren spätes Regiedebüt „Poison“ gerade im Kino läuft. Sie weiß, was sie tut. Und könnte auch reagieren. Daran fehlte es ja im vergangenen Jahr, als bei der Bären-Preisverleihung einige Gewinner die Bühne nutzten, um sich solidarisch mit Palästina zu zeigen, teils Israel sogar Völkermord vorwarfen.

Moderatorin Désirée Nosbusch findet für alles die richtigen Sätze

Vor einer solchen Eskalation hatten alle im Vorfeld Angst, dafür wurden alle eigens gecoacht. Und dann ist es doch passiert. Und es hätte nur eine souveräne Moderatorin gebraucht, die danach betont hätte, das seien persönliche Meinungen und nicht die des Festivals. Dann hätte es die bekannte, aufgeregte Debatte wohl nicht gegeben. Jetzt sind wieder alle ganz aufgeregt, dass das passieren könnte. Und dass das Festival als öffentliche Bühne missbraucht werden könnte. Gerade in den letzten heißen Tagen des Wahlkampfs wird doch am letzten Tag der Berlinale gewählt.

Und dann ist da noch der aktuelle Schock. Über den Anschlag in München. Nur wenige Stunden vor der Berlinale-Eröffnung. Da ist nicht jedem zum Feiern zumute, Jubiläum hin oder her. Es beschleicht einen ein Déjà-vu: Vor fünf Jahren, als die damals neue Doppelspitze Rissenbeek-Chatrian antrat, überschattete der Anschlag von Hanau die Eröffnung.

75. Berlinale · Eröffnung
Regisseur Tom Tykwer kommt zur Eröffnung mit seinem Star Lars Eidinger (l.). © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Der damalige Moderator Samuel Finzi scheiterte an der Aufgabe, die richtigen Worte zu finden. Nosbusch schafft das mit einem Satz: „Unsere Gebete und unsere Herzen hegen an die Menschen in München.“ Umso mehr gilt es, den Blick in die Welt zu richten. Das hat Tuttle schon am Morgen gesagt, auf der Pressekonferenz, auf der die Internationale Jury vorgestellt wurde, was Tuttle selbst moderierte. Und sie wiederholt es am Abend: „Ich hoffe, dass wir uns einander Gehör schenken.“

Ein klares Statement der neuen Indentantin, für welches Kino sie steht

Schneller soll es gehen bei ihrer ersten Eröffnung. Aber dann müssen noch 75 Jahre Festival anhand von Bären-Gewinnern gehuldigt werden. Muss die Internationale Jury vorgestellt werden. Und dann wird auch noch der Ehrenbär des Festivals verliehen. Der geht an Tilda Swinton, und die verströmt an diesem Abend einmal mehr Glanz auf dem Festival, das sie schon so oft besucht hat.

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Tilda Swinton bekommt den Ehrenbären, und der deutsche Regisseur Ed Berger (r.), mit dem sie gerade gedreht hat, hält die Laudatio. © AFP | Ronny Hartmann

Der Ehrenbär wurde bislang immer erst in der Festivalmitte verliehen, wo die Starpower auf dem Teppich schon etwas nachließ. Und man dann doch noch einen Weltstar präsentieren konnte. Der Ehrenpreis ist immer ein sehr emotionaler Moment. Aber das wird jetzt gleich am ersten Tag verbrannt. Und das lag nicht etwa daran, dass Frau Swinton sonst keine Zeit hatte. Es ist Tuttles Idee, die auch künftig beibehalten werden soll. Das ist die einzige Neuerung, die etwas befremdet.

Tilda Swinton: „Die Berlinale ist für mich ein Zuhause“

Und Swinton glänzt nicht nur, sie hält auch eine flammende, politische Rede. Mit klaren Worten gegen angemaßte Herrscher, die derzeit überall wüten. Wofür sie tosenden Applaus erntet. Und am Ende spricht sie auch noch Deutsch, wenn sie meint, die Berlinale sei „für mich ein Zuhause“.

Und so wird er dann doch etwas lang, der Eröffnungsabend. Zumal als Eröffnungsfilm Tom Tykwers „Das Licht“ ausgewählt wurde. Ein Zweieinhalbstünder, der den ganzen derzeitigen Diskurs der Gesellschaft verhandelt. Aber auch das ist ein klares Statement der neuen Intendantin. Und soll zeigen, für welches Kino sie steht.