Berlin. Devrim Lingnau ist der deutsche Shooting-Star der Berlinale. Der „Kaiserin“-Star stellt dort einen für sie wichtigen Film vor.

Von der Kaiserin zum Shooting Star. Devrim Lingnau hat in bisher zwei Staffeln „Die Kaiserin“ als Sisi frischen Wind in den Mythos gebracht. Auf der Berlinale tauscht die 26-Jährige nun das kaiserliche Korsett gegen Abendgarderobe. Lingnau ist der European Shooting Star für Deutschland, eine Auszeichnung für Nachwuchsschauspielende aus zehn europäischen Ländern, die auf dem Festival nicht nur geehrt, sondern auch in eine Art Bootcamp geschickt werden. Die Liste früherer Shooting Stars liest sich wie das Who is Who des deutschen Films. Auch ihr neuer Film „Hysteria“ hat Premiere im Panorama. Lingnau ist zum Interview bestens gelaunt, vorfreudig ob des Festivals und im Redefluss kaum zu stoppen. Das Schöne daran: Es sind keine Plattitüden, hier hat jemand wirklich was zu sagen.

Sie sind European Shooting Stars, bekommen am Berlinale-Montag die Ehrung überreicht. Wie haben Sie von der Auszeichnung erfahren?

Devrim Lingnau: Ich wusste, dass ich nominiert werde, denn dafür musste ich eine Extra-Bewerbung machen mit Video und ein paar Formalien. Aber ich hatte mir wenig Chancen ausgerechnet, weil ich davon ausging, dass sich viele bewerben. Ich habe ganz bewusst versucht, es von mir fern zu halten, um am Ende nicht zu enttäuscht zu sein, wenn es nicht klappt. Nach ein paar Wochen kam per Mail eine Einladung für ein Zoomgespräch. Ich dachte, dass die Veranstalter noch mal Nachfragen hätten. Dabei wollten sie mir die frohe Kunde nur persönlich überbringen.

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Haben Sie sich bei früheren Shooting Stars Rat geholt?

Nein, ich will mich überraschen zu lassen.

Wie fühlt es sich an, Shooting Star zu sein?

Erst mal empfinde ich es als große Ehre. Ich verfolge mit Begeisterung die Karrieren vieler Schauspielkollegen. Die deutsche Filmlandschaft ist reich an jungen Talenten. Ich glaube, um sich eine Karriere aufzubauen, kommt es darauf an, dass man auf Menschen trifft, mit denen man sich verbinden und hingeben kann, dass man an Projekten mitwirken kann, deren Inhalte einem wirklich am Herzen liegen.

Woher kommt ihre Lust zu spielen?

Ich habe das mit der Schauspielerei nie forciert, aber habe das Gefühl, dass die Lust am Spielen gerade so richtig wächst. Ich kam über das klassische Ballett zur Schauspielerei, denn das war mir zu konservativ. Nach dem Abi habe ich mich für ein Kunststudium entschieden und erst mal das gemacht. Nach und nach hat sich die Schauspielerei als Konstante in meinem Leben etabliert.

Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Türke. Wie sehr hat das in ihrem Aufwachsen eine Rolle gespielt?

Ich werde selten türkisch gelesen. Dadurch habe ich per se schon mal weniger Rassismuserfahrungen gemacht. Das hat aber dazu geführt, dass ich lange meine türkischen Wurzeln, die türkische Kultur, die türkische Sprache, weniger als Teil von mir verstanden habe. Mein türkischer Vater hat meine Sozialisierung sehr geprägt, aber diesen großen, wichtigen Teil von mir habe ich in der Öffentlichkeit oft abgekapselt. Ich hatte kaum türkische Freundinnen, gehörte nicht so richtig zu dieser Community. Erst durch Mehmet Akif Büyükatalays Film „Hysteria“, der jetzt im Panorama läuft, habe ich gemerkt, dass es einen Anteil in mir gibt, der wenig Platz hatte, der eine große Sehnsucht nach einer türkischen Community hat. Ich habe mich oft ein bisschen isoliert gefühlt, weil ich nicht so richtig wusste, wo ich hingehöre.

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THE EMPRESS, (aka DIE KAISERIN), from left...
So kennen sie Millionen: Devrim Lingnau als Sisi in der Netflix-Serie „Die Kaiserin“ mit Philip Froissant als Kaiser Franz Joseph. © picture alliance / Everett Collection | ©Netflix/Courtesy Everett Collection

Warum liegt Ihnen der Film so am Herzen?

Erstmal hat mich die Begegnung mit Mehmet umgehauen. Ich hatte zwar das Drehbuch schon gelesen, als ich zum Casting kam. Mehmet hat mich am Bahnhof abgeholt, was schon sehr ungewöhnlich war. Normalerweise wird man nicht vom Regisseur abgeholt, wir liefen uns auf dem Gleis entgegen und fühlte uns direkt auf sehr freundschaftliche Art miteinander verbunden, obwohl wir uns gar nicht kannten. Es war von Anfang an ein sehr tiefes Verständnis füreinander da. Manchmal hat man das ja. Und man denkt, da ist irgendwas, da sehe ich mich in dem Anderen, und der sieht sich in mir, und dann passt irgendwas. Vieles, was in dem Film verhandelt wird, ist schon sehr nah an mir dran. Ich glaube, ich habe noch nie etwas gemacht, was so nah an mir und meinen eigenen identitären Fragen dran ist.

Sie drehen auf Deutsch, Türkisch, Englisch, Französisch, Spanisch. Als was sehen Sie sich?

Im Moment am ehesten als deutsch-türkische Schauspielerin. Das Interessante ist: Durch „Die Kaiserin“ habe ich eine große Fanbase in der Türkei. Ich bekomme täglich viele Nachrichten über die sozialen Medien von jungen Türkinnen. Das ist toll, denn die sehen mich als türkische Identifikationsfigur. Sie stellen gar nicht in Frage, ob ich türkisch gelesen werde oder in Deutschland groß geworden bin. Die nehmen mich, wie ich bin.

Sie hatten Ihren Durchbruch mit „Die Kaiserin“. Die zweite Staffel kam im Dezember, die dritte ist gerade bestätigt. Was bedeutet Ihnen diese historische Rolle?

Ich bin froh, dass wir mit der dritten Staffel ihre Geschichte zu Ende erzählen können. Über das hinaus, was viele über Elisabeth wissen. Aus feministischer Perspektive finde ich es spannend, diese Figur über das Kinderkriegen und Heiraten hinaus kennenzulernen. Ihr Leben war stark von Verlust geprägt. Für mich als Schauspielerin ist das eine besondere Aufgabe, sich diesen emotionalen Tiefen zu nähern.

Wie fühlt sich das für Sie an, so lange eine historische Figur zu begleiten?

Ich habe davor großen Respekt. Das, was wir machen, ist eine Annäherung an historische Begebenheiten. Aber es ist dennoch eine freie Interpretation. Wir behandeln Themen unserer Zeit. Es geht um Machtstrukturen, um queere Themen, wir haben ein historisches Narrativ genommen und machen etwas ganz Eigenes daraus. Elisabeth war keine Feministin, weil es damals auch keine feministische Bewegung gab, aber sie hatte für die Zeit sehr aufgeklärte Gedanken.

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„Ich habe noch nie etwas gemacht, was so nah an mir dran ist“:  Auf der Berlinale feiert ihr neuer Film „Hysteria“ Premiere.
„Ich habe noch nie etwas gemacht, was so nah an mir dran ist“: Auf der Berlinale feiert ihr neuer Film „Hysteria“ Premiere. © filmfaust | filmfaust

Wie wichtig ist Ihnen die feministische Perspektive in Ihren Projekten?

Sehr wichtig. Aber der Begriff ist für mich mittlerweile leider ein bisschen ausgefranst. Es ist wichtig, sich nicht nur profeministisch zu äußern, sondern auch sein eigenes Handeln zu reflektieren. Nicht alles, was ich bisher gemacht habe, würde ich als feministisch bezeichnen. Und oft sind die Strukturen, in denen wir arbeiten, und die Narrative in Drehbüchern noch zutiefst patriarchal. Ich muss mich da selbst auch ständig hinterfragen und Position beziehen.

Wie passt das für Sie mit einem Filmfestival zusammen, wo es auch um Glamour und roten Teppich geht?

Ich habe mit Selbstinszenierungen kein Problem. Für mich ist das nicht antifeministisch. Wenn Frauen sich schön machen und am Ende heiß aussehen, ist das doch super. Egal ob tiefes Dekolleté, hohe Absätze oder Turnschuhe. Ich bin keine moralische Instanz! Meine feministische Position ist es, alle Frauen zu unterstützen, so wie sie sich präsentieren. Alles andere, Beurteilende ist ein patriarchaler Blick von oben herab. Ich will die Leute feiern, gerade wenn sie Teil einer marginalisierten Gruppe sind.

Es ist die 75. Berlinale – ein großes Jubiläum. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Berlinale?

Oja, da muss ich so 18, 19 gewesen sein. Ich war gerade ganz neu in meiner Agentur, hatte überhaupt keine Termine und stand auf ein paar Veranstaltungen rum. Meine Agentur hatte einen Empfang für alle Klienten gemacht. Meine Mutter kam damals nach Berlin mit, sie hat mich mit dem Auto bis vor die Tür gebracht. Um Punkt Zwölf hat sie mich wieder abgeholt. Dieses Jahr kommt sie zu meiner Premiere und wir feiern zusammen.