Berlin. Ein elegisches Drama stellt sich dem kollektiven Trauma der Franco-Diktatur auf zwei Ebenen: „Der Lehrer, der uns das Meer versprach“.

Der katalanische Lehrer Antoni Benaiges (Enric Auquer) wird argwöhnisch beäugt, als er Mitte der 1930er-Jahre in dem kleinen Dorf Bañuelos de Bureba in der Region Burgos die Grundschule übernimmt. Den konservativen Bewohnern ist der Atheist mit seinen progressiven Ansichten und modernen Lehrmethoden ein Dorn im Auge. Der Reformpädagoge ist überzeugt, dass Kinder am besten lernen, wenn sie neugierig selbst erforschen dürfen, was sie interessiert.

Die Schüler müssen zusehen, wie ihr Lehrer verschleppt wird

Mit seinen antiautoritären Methoden blühen die Kinder auf, ermuntert zu Selbstvertrauen und Kreativität und gemeinsamen Projekten. Mit einer kleinen Druckerpresse stellen sie etwa unter seiner Anleitung ihre eigene Schülerzeitung her. Schnell baut Benaiges so eine Verbindung zu seiner Klasse auf, doch die Erwachsenen bleiben skeptisch und feindselig. Auch weil der Lehrer seine politische Haltung in Artikeln einer linken Wochenzeitung zum Ausdruck bringt.

Im Land droht unterdessen ein Bürgerkrieg, doch der Lehrer will sich seine Zuversicht nicht nehmen lassen. Schließlich hat er den Kindern versprochen, zusammen ans Meer zu fahren, das die meisten von ihnen noch nie gesehen haben. Er setzt alles daran, sein Vorhaben noch umzusetzen. Als Francos Faschisten an die Macht kommen, müssen die Schüler dabei zusehen, wie ihr geliebter Lehrer verschleppt wird.

Lesen Sie auch: Angelina Jolie als Callas: Ganz großes Opern-Kino ist „Maria“ nicht

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Diesen leidenschaftlich engagierten Pädagogen gab es tatsächlich, mehr als 70 Jahre nach der Verhaftung durch einen falangistischen Trupp war sein Verbleib unklar, bevor seine Überreste vor einigen Jahren gefunden wurden. Seine Geschichte fächert nun der Spielfilm „Der Lehrer, der uns das Meer versprach“ auf, die er parallel zu einer gegenwärtigeren Ebene im Jahr 2010 erzählt. Die junge Mutter Ariadna (Laia Costa) erfährt in einem Anruf, dass ihr Großvater einen Suchantrag gestellt hat, um seinen Vater ausfindig zu machen, der im Spanischen Bürgerkrieg verschwunden war und vermutlich in einem der Massengräber in Burgos verscharrt wurde.

Der Bürgerkrieg und die Ermordung Andersdenkender wurde lange nicht thematisiert

Da ihr Opa inzwischen im Altersheim kaum zu etwas in der Lage ist, sieht sie sich in der Verantwortung, der eigenen Familiengeschichte nachzuforschen, stößt dabei auf das Schicksal Benaiges und wird mit traumatischen Ereignissen konfrontiert, die in ihrer Familie über Generationen verschwiegen wurden.

In ihrer Heimat hat die Regisseurin Patricia Font damit einen Nerv getroffen. Im November wird es 50 Jahre her sein, dass der spanische Diktator Francisco Franco gestorben ist und sich das Land in eine Demokratie wandelte. Doch die Schatten der Vergangenheit sind noch immer zu spüren, die Gesellschaft ist gespalten und tut sich auch heute noch schwer mit der eigenen Geschichte. Nach Francos Tod 1975 und der anschließenden „Transición“, dem Übergang von der Diktatur in ein demokratisches System, hat das Miteinander über Jahrzehnte nach dem Prinzip des Stillschweigens funktioniert.

Lesen Sie auch: Karoline Herfurth gesteht im Intervie: „Ich werde endlich mal Luft holen“

Enric Auquer spielt den Lehrer, der den Franquisten ein Dorn im Auge ist.
Enric Auquer spielt den Lehrer, der den Franquisten ein Dorn im Auge ist. © 24 Bilder | Filmax

Der Bürgerkrieg und die Ermordung politisch Andersdenkender wurde lange Zeit nicht thematisiert. Zehntausende Todesopfer wurden in Massengräbern verscharrt. Erst seit einigen Jahren werden sie landesweit von privaten Initiativen exhumiert, um sie zu identifizieren und würdig zu bestatten. Und sich den Wunden des kollektiven Traumas zu stellen.

Laia Costa verleiht ihrer Figur eine Wut, die sich letztlich nicht fassen lässt

Font wurde 1978 in Barcelona geboren, drei Jahre nach Francos Tod, und blickt, wie viele ihrer Generation, weniger voreingenommen auf die Versuche, das kollektive Gedächtnis Spaniens wiederherzustellen. Es ist kein Zufall, dass sie und Drehbuchautor Albert Val dabei eine Frau in den Mittelpunkt rücken, die sich gegen Widerstände dafür einsetzt, die dunklen Kapitel des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten. Das Franco-Regime beruhte, in seinem Machtgemenge aus Militär und Kirche, auch auf der Unterdrückung der Frauen. „Ehrenmorde“ in der Ehe waren keine Seltenheit und blieben meist straffrei.

Doch so ehrenhaft das Vorhaben ist, an Humanismus und kritisches Denken zu appellieren, hat das elegische Drama seine Schwächen. Visuell konventionell und wenig inspiriert, weist es dramaturgische Lücken auf, die immer wieder unnötig für Distanz sorgen, bis zum etwas dick aufgetragenen Ende. Berührend sind dagegen die beiden Hauptdarsteller. Laia Costa (man kennt sie als Titelheldin aus Sebastian Schippers Berlin-Film „Victoria“) verleiht Adriana eine eigenartig brodelnde Wut, die sich letztlich nicht fassen lässt. Und Enric Auquer verkörpert den Lehrer so enthusiastisch und zärtlich, dass er über so manche Holprigkeit hinwegsehen lässt.

Drama Spanien 2023, 105 min., von Patricia Font, mit Enric Auquer, Laia Costa, Luisa Gavasa