Hamburg. Neu im Kino: Angelina Jolie spielt Maria Callas nicht nur. Sie singt in „Maria“ auch, was die Opern-Legende sang. Das geht nicht immer gut.
Waghalsiger kann „Maria“, ein (Kino-)Film über eine Opern-Sängerin, wirklich nicht beginnen: mit minutenlangen, frontalen Großaufnahmen. Ganz nah dran an diesem Gesicht, in dem man alles lesen konnte wie in einer Opern-Partitur. Ganz nah dran sein wollend am Schwingen dieser Stimmbänder. An diesen Augen, dieser straff durchinszenierten Hauptrollen-Haltung. An diesem Ausdruck, der in allem präsent war, was sie sang und spielte. Alles, was sie war, jede ihrer tragisch endenden Einzelkämpferinnen. Dieses Gesamtkunstwerk, das eine Frau zu einer Legende machte – bis und weil sie nicht mehr so singen konnte, wie sie es wollte: Maria Callas.
„La Divina“, am 16. September 1977 einsam, 53 Jahre alt, in ihrer Pariser Wohnung gestorben, an gebrochener Stimme und gebrochenem Herzen. Da ist die Reihenfolge schwer zu bestimmen, umgeben von verbleichenden Erinnerungen.
Leider wird schon in diesen ersten „Maria“-Momenten, während ein anderes Superstar-Gesicht sich notensynchron zum „Ave Maria“ aus Verdis „Otello“ bewegt, als wäre es ein Klassik-Musikvideo, so erschütternd wie ernüchternd klar: Besser wird es wohl nicht mehr werden in diesem stark auf Oscar-Verzierung abzielenden Biopic. Das aber keine Lebenslauf-Nacherzählung sein soll, da dem Regisseur Pablo Larraín die gefühlte Fantasie, streckenweise satt mit Pathos überzogen, wichtiger ist als die mit großer Akribie dokumentarisch nachgefilmten Auftritte und Posen.
Angelia Jolie als Callas: Ganz großes Opern-Kino ist „Maria“ nicht
Richtig gut, richtig erhellend wird es danach jedenfalls nicht. Die Callas bleibt unfassbar, weil und obwohl sie der verglühende Zentralstern ist, um den dieser Film kreist wie eine manisch depressive Motte um das Licht, die ihr Aus nur noch schwach herauszögert.
Denn zu sehen ist nach diesem Auftakt, zwei mitunter wunderlich zähe Stunden lang, vor allem eine: Angelina Jolie, die Angelina Jolie spielt, die ganz unbedingt Maria Callas verkörpern und auch noch mit eigens antrainierten und tontechnisch dazugemischten Stimm-Anteilen vertonen wollte. Eine Hollywood-Schauspielerin, die mit enormer Entschlossenheit nun auch als Arthouse-Kino-Tragödin gesehen und gefeiert werden will.
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Frühere Filmstar-Generationen haben sich für Extremrollen Kilos und Muskeln ab- oder antrainiert, haben Dirigieren, Klavier oder wenigstens Tennis spielen gelernt. Jolie strapaziert für diese Verwandlungs-Strapaze vor allem ihr Gesicht, egal, wie dick die Glasbausteine in den euligen, übergroßen Brillengestellen der späten Callas auch gewesen sein mögen.
Angelina Jolie als Callas in „Maria“: Aristokratisch zumöbliertes Kammerspiel
Die Königin ist tot, gleich zu Beginn dieses in Spätherbstfarben schattierten Film-Dramas bereits. Von ihrem Hauspersonal wird sie nach einem letzten Tagtraum gefunden, in dem sie als Tosca ihr „Vissi d’arte“, ihr Gelebthaben für die Kunst zelebrierte, also: Es lebe diese Königin! Nur dieses letzte Mal noch.

Larraín hat mit seinen Kino-Mono-Dramen über Jackie Kennedy („Jackie“, 2016) und Lady Diana („Spencer“, 2021) bereits zwei anderen Jahrhundert-Rätseln melodramatische Meditationen über Unschuld und Bühnen gewidmet. Nun also, als Ikonen-Finale in einem aristokratisch zumöblierten Kammerspiel: Letzter Vorhang auf für La Callas.
Kinofilm „Maria“ mit Angelina Jolie: Schon nach wenigen original Callas-Tönen ist die Gänsehaut da
„Maria“ blendet zurück in ihre letzte Woche vor diesem Tod, zeigt eine lebens- und damit kunstuntüchtig gewordene Künstlerin, die ihrer spiegeleibratenden Haushälterin Bruna die morsch gewordene Fassade ihrer „Casta diva“-Arie in der Küche vorsingt, für eine Portion routiniert geheuchelte Anerkennung. Die ihrem herzensguten Butler Ferrucio die Bandscheiben ruiniert, weil der Flügel immer genau dort stehen soll, wo er gerade nicht ist. Die sich Tabletten einwirft, als wären es Pfefferminzdragees, und sich deswegen ein TV-Interview-Team in den Salon fantasiert, dessen Fragensteller genauso heißt wie ihre überall griffbereiten Pillen.

Als diese Callas in einer Brasserie zuhören muss, wie der Wirt hinterm Tresen eine „ihrer“ Platten mit „ihrer“ „La Wally“-Arie auflegt, kann sie sich selbst, ihre frühere Einmaligkeit nicht mehr ertragen. Schon nach wenigen original Callas-Tönen ist sie da, die Gänsehaut, weil das Kino in diesen Sekundenbruchteilen vor der gelebten Aufrichtigkeit dieser Stimme nur kapitulieren kann.
„Maria“ mit Angelina Jolie: Im Verlauf dieses Kinofilms ließe sich mühelos Diven-Phrasen-Bingo spielen
Man ahnt noch die frühere Mode-Ikone, die sich vom Pummelchen in Model-Maße hineingehungert hatte und sich nun nur von ihrem Appetit auf Anerkennung getrieben in Pariser Cafés setzt, bis jemand sie dort erkennt und anhimmelt, denn: „Ich gehe in Restaurants, um bewundert zu werden.“ Ohnehin ließe sich mühelos Diven-Phrasen-Bingo spielen im Verlauf dieses Films, so erwartbar sind die trauerumflorten Sentenzen, die im zurückgenommenen Sprechgesang der vorzeitig gealterten Callas gleich noch etwas schablonenhafter wirken.

Dass sie Opern-Intendanten nach einem ungenügend devoten Halbsatz die Köpfe abbeißen konnte, dass ihr Temperament abseits der Bühne explosiver war als ein defekter Dampfkochtopf? Nichts davon deutet dieser Film noch an. Es ist eine aus diversen Arien verschraubte Passionsgeschichte, die huldvoll und virtuos kostümiert gezeigt wird. Etwas „Madama Butterfly“ mit Geisha-Look im Regen, etwas „Medea“ mit blutigem Dolch und Sandalenfilm-Verkleidung.
Den vielleicht wahrsten Moment hat „Maria“ im Nachspiel
Die Scala-Bühne als ihr allerliebster Raubtierkäfig in überhitzten Rückblenden. Und dann nur, als wäre es ein Spiegelbild des Callas-Theaterstücks „Meisterklasse“, die von der eigenen Verzweiflung verängstigte Ex-Diva, die mit einem freundlichen Korrepetitor (gemeint ist Jeffrey Tate, der spätere Chefdirigent der Symphoniker Hamburg) kleinlaut an ihrer Bravour-Arie aus Bellinis „I Puritani“ scheitert.
Den letzten, vielleicht wahrsten Moment hat diese Elegie über eine zum Tode verurteilte Regentin im Nachspiel, im Abspann, in dem authentische Filmaufnahmen der Callas, mit und auch mal ohne Aristoteles „Ich bin hässlich, aber reich“ Onassis als Diven-Accessoire ablaufen. Wenige Szenen nur, die aber intensiver als alles Vorangestellte sagen und auffordern: Seht mich an! Hört mich an! Jedes Lächeln von Maria vermittelt dort mehr über die Callas als „Maria“.
Drama, USA/Chile/Italien/Deutschland 2024, 123 min., von Pablo Larraín, mit Angelina Jolie, Pierfrancesco Favino, Alba Rohrwacher