Berlin. Er war Kult. Und viel gescholten. Aber kalt ließ er keinen. Nun ist Filmregisseur David Lynch kurz vor seinem 79. Geburtstag gestorben.

Dieser Mann ließ niemanden kalt. Die einen verehrten ihn kultisch, die anderen lehnten ihn ab. Aber beides mit Leidenschaft. Ohne ging es nie. Und das ist eine Reaktion, die nur wenigen Filmemachern gelingt. David Lynch war ein großer Träumer des Kinos. Aber nicht im Sinne der Traumfabrik. Er schockierte und verstörte, inszenierte Alpträume, die aufs Unterbewusstsein zielten und aus denen es kein Entrinnen gab. Ein Surrealist des Mainstreamfilms, der das Kino von den Füßen auf den Kopf stellte. Und immer wieder neu erfand.

Wobei sich seine Filme oft einer schlüssigen Geschichte und erst recht dem üblichen interpretatorischen Filmverständnis entzogen. Weshalb man in früh den „Zaren des Bizarren“ nannte. Nicht immer konnte man seine Filme verstehen. Man war in ihnen verloren, wie eben in Alpträumen. War aber auch aktiv gezwungen, genau hinzuschauen. „Lynchs Filme kann man nicht erklären“, brachte es Filmkritiker Paul Taylor einmal auf den Punkt, „man muss sie erfahren.“ Man könnte auch sagen: Man musste sie mitträumen, mitalpträumen. Nun ist der Kinomagier am Donnerstag, nur fünf Tage vor seinem 79. Geburtstag gestorben.

All seine Filme handeln von der Abweichung der Norm, von Monstrositäten des Menschlichen

Er war der Europäer unter den amerikanischen Filmregisseuren. Weil er am ehesten der französischen „Politique des Auteurs“ folgte, mit einer ganz eigenen Handschrift. Dabei war er Uramerikaner. Aufgewachsen im tiefsten Montana, in einer wahren Kleinstadtidylle, die vielleicht zu idyllisch war, um sie ertragen zu können. Weshalb er sie später immer wieder ironisierte und destruierte. Lynch war von früh an ein Mann der Bilder, er wollte Maler werden und hat Kunst studiert. Hat sein Studium aber abgebrochen, weil er merkte, dass ihm anderes fehlte: Bewegung. Und Ton. So begann er mit ersten Filmen, in denen er bereits das klassische Kino aus den Angeln hob.

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Blue Velvet
Vorstadtidyll und die perversen Abgründe dahinter: „Blue Velvet“ (1986) mit Dennis Hopper und Isabella Rossellini. © picture alliance/United Archives | United Archives/Impress

All seine Filme handeln von der Abweichung der Norm und wie die Gesellschaft darauf reagiert, von den Monstrositäten des Menschlichen. Und der Erfahrung, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein. Sein erster Film, für den er fünf Jahre brauchte, weil er kein Geld dafür fand, brachte das schon meisterhaft auf den Punkt: In „Eraserhead“ (1977) hat ein Mensch eine sprichwörtliche Kopfgeburt, ein Monster, das aus ihm herauswächst und das er bezwingen, dass er, verwenden wir ruhig dieses Wortspiel, lynchen will. Lynch provozierte mit schockierenden Bildern. Und wurde gleich als Kultfilmer gehandelt.

Lynch, das Stehaufmännchen: Nach einem Mega-Flop kam der große Durchbruch

„Der Elephantenmensch“ (1980) war dann eine missgebildete Kreatur, die aber eine reine Seele besaß. Die Monster, das waren die anderen, die Normalen. Lynch bewährte sich damit nicht nur im Independent-, sondern auch im Mainstreamkino. Danach galt er als Wunderkind, dem man alle möglichen Großproduktionen anbot. Auch „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“, der dritte Teil der „Star Wars“-Trilogie, soll darunter gewesen sein.

Lynch entschied sich indes für ein anderes Großprojekt: die Verfilmung des als unverfilmbar geltenden Romans „Dune – Der Wüstenplanet“ (1984). 50 Millionen hat er dafür verwendet und in den Sand gesetzt. Denn der Science-Fiction-Film wurde zum Riesenflop. Weil der Produzent Dino de Laurentiis den Film umschneiden und verstümmeln ließ. Dass man „Dune“ durchaus verfilmen kann, sollte erst 37 Jahre später der Kanadier Denis Villeneuve beweisen. Lynchs Ruf aber war erst mal ruiniert.

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WILD AT HEART - DIE GESCHICHTE VON SAILOR UND LULA
Für „Wild at Heart“ mit Nicolas Cage und Larua Dern geann David Lynch 1990 in Cannes die Goldene Palme. © picture alliance/United Archives | United Archives / kpa Publicity

Doch dann überraschte er alle. Mit „Blue Velvet“ (1986), für lächerliche fünf Millionen produziert, immerhin vom selben Produzenten wie bei „Dune“. Aber bei diesem Film und von da an hat sich Lynch das Recht auf den Final Cut gesichert. Niemand sollte ihm künftig noch in seine Bilder-Welten reinreden. Und die wurden jetzt erst recht extrem. Um äußerliche Monstrositäten ging es ihm nun nicht mehr, dafür umso mehr um innere Dämonen und Abgründe. „Wild at Heart“ gewann 1990 in Cannes die Goldene Palme, für die einen war das eine „Offenbarung“, für die anderen eine „Vergewaltigung“. Lynch war damit ein Stehaufmännchen.

Lynchs Geschichten waren nicht logisch und wollten es auch nicht sein

Und da war es geboren, das eigentliche Lynch-Kino. Mit überstilisierten Bildern, in verstörende Sound-Settings gehalten, destruierte er das amerikanische Vorgartenidyll. Fortan sprach man von „Lynchtown“, und das hat er dann umgesetzt in einer Serie, die als Prototyp für den heutigen Streamingboom gelten darf: Weil er mit „Twin Peaks“ (1990/91) nach dem Kino auch das Fernseh- und Serienformat auf den Kopf stellte. In den 90er-Jahren war dann auch diese zweite, verinnerlichte Phase seines Schaffens abgeschlossen. Und mit „Lost Highway“ (1997) begann er eine dritte, die nun völlig abgefahren war.

Weil sie Filme aus dem Inneren waren, weil nun nicht Kopfgeburten aus dem Kopf wuchsen, sondern man in die Köpfe hineinsah. Anderer Leute Alpträume erlebte. Wobei die klassische Filmerzählung konsequent aufgelöst wurde. Die Figuren waren nun gänzlich „lost“, nicht mehr Herr im eigenen Haus, im eigenen Oberstübchen. Und eine Schauspielerin konnte schon mal eine Doppelrolle spielen, während zwei Schauspieler sich eine Rolle teilten. Auf wirklich nichts konnte man sich mehr verlassen in dem irrationalen, absurden, schizophrenen Lynchtown. Lynchs Geschichten waren nicht logisch und wollten es auch nicht sein. Die Zuschauer mussten sich selbst in dieser Wirrnis zurechtfinden. Und sind damit aktiv gefordert wie bei nur wenigen Filmschaffenden sonst.

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Lost Highway
Mit „Lost Highwa“ mit Patricia Arquette und Balthazar Getty verabschiedete sich Lynch gänzlich vom klassischen Erzählkino. © picture alliance/United Archives | United Archives/Impress

Auch Lynch selbst zeigte sich als schräger Vogel. Mit extravaganten Frisuren und stets hochgeschlossenen Hemden war er ein Meister der Selbstinszenierung, der bei jedem Filmfestival aus der Menge hervorstach. Ein Mann mit vielen Talenten, der auch den Teaser für Michael Jacksons „Dangerous“-Album inszenierte, Werbespots für die Parfüms Opium und Obsession (!) und selbst für die Kopfschmerztablette Alka-Seltzer. Oder auch mit seinem Stammkomponisten Angelo de Bandalamenti die „Industrial Symphony Nr. 1“ komponierte.

David Lynch starb nur fünf Tage vor seinem 79. Geburtstag

Ein Mann, der mit zunehmendem Alter aber auch wirre Ideen hatte. Und etwa auf dem Berliner Teufelsberg eine Uni gründen wollte. Da wirkte er zunehmend wie einer dieser schrägen Vögel aus seinem eigenem Lynchtown. Lynch hat das klassische Kino unter- und begraben und im Film die Postmoderne eingeführt. Aber auch in der Postmoderne kann ein Meister bald alt aussehen.

2019 erhielt Lynch einen Ehren-Oscar. Ein Jahr darauf diagnostizierten die Ärzte bei ihm, der immer ein starker Raucher war, ein Lungenemphysem. Vor einem Jahr dann musste er erklären, dass er wegen der damit verbundenen Atemnot sein Haus nicht mehr ohne Sauerstoffmaske verlassen könne. -Da war er selbst nicht mehr Herr in seinem eigenen Haus. Nun starb er kurz vor seinem 79. Geburtstag. Und nur wenige Tage, nachdem er sein Haus in Kalifornien wegen der dortigen Waldbrände verlassen musste.