Berlin. Der Film „September 5“ stellt die Ereignisse des Terroranschlags im Münchner Olympiadorf nach - einzig aus Sicht eines Fernsehteams.
Ist die Kamera drauf? Jawohl, ist sie. Was für ein Coup für das Fernsehteam von ABC. Die Amerikaner halten fest, wie ein vermummter Terrorist auf den Balkon tritt. Sie sind bei den Olympischen Spielen 1972 in München bei der Geiselnahme der israelischen Sportler live dabei. Und die ganze Welt schaut zu. 900 Millionen Zuschauer, mehr als bei der Mondlandung drei Jahre zuvor.
Da können sich die Fernsehmänner eines gewissen Triumphgefühls nicht enthalten. Auch nicht, als sie zeigen, wie die bayerische Polizei sich verdeckt nähert, um die Terroristen zu überwältigen. Aber dann kommt die Ahnung: Nicht nur die Welt, auch die Terroristen schauen zu. Und sind gewarnt, weshalb die Polizei sich zurückziehen muss. Und so weicht der Begeisterung im Studio jäh die Ernüchterung: War das unsere Schuld?
Ein fataler Tag, der zum Wendepunkt in der Medienpolitik wurde
„September 5“ rekapituliert die Ereignisse jenes tragischen 10. Spieltags bei den 20. Olympischen Sommerspiele, als die palästinensische Terrororganisation Schwarzer September die israelischen Sportler überfiel. Rekapituliert sie noch einmal, möchte man sagen. Denn das hat Kevin MacDonalds Oscar-gekrönter Dokumentarfilm „Ein Tag im September“ schon 1999 mustergültig getan. Und Steven Spielberg legte sechs Jahre später mit „Munich“ nach, der die Ereignisse als Spielfilm nachstellte und dann zum Thriller wird über die Rache des Mossad an den Drahtziehern des Anschlags.
Lesen Sie auch: „The Brutalist“ gewinnt bei den Golden Globes
„September 5“ erzählt dagegen ausschließlich aus der beschränkten Perspektive der Fernsehcrew. Das scheint erst mal zynisch, geht es doch oft um die Frage, wem „die Story gehört“, ob ABC Sport vor Ort berichten darf oder an ABC News in die USA abgeben muss oder ob ABC oder CBS den nächsten nötigen Satellitenslot erhält. Medieninterne Rangeleien, die angesichts der schrecklichen Ereignisse herzlich unwichtig scheinen.
Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben
Und doch ging dieser Tag ein als der erste live übertragene Terrorakt. „The Day Terror Went Live“, wie es im Untertitel des deutsch-amerikanischen Films von Tim Fehlbaum heißt. Bilder, die sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Und zu einem Wendepunkt in der Medienpolitik wurden. So ist diese bislang kaum beleuchtete Perspektive doch klug gewählt.
Ein Kammerspiel auf engstem Raum. Man sitzt als Zuschauer im TV-Studio mit dabei. Wird diese klaustrophobischen Räumlichkeiten auch, das ahnt man bald, nicht verlassen. Und weiß nie mehr als die Reporter. Die einzigen Fenster zur Welt sind die Monitore, die die Bilder von draußen übertragen. Zu Beginn des Films spürt man noch die Pionierstimmung, weil dies die ersten Olympischen Spiele sind, die per Satellitentechnik weltweit übertragen werden. „Damit sie“, wie es heißt, „keinen einzigen Augenblick verpassen.“
Lesen Sie auch: Popstar Graham Nash: „Trump will wirklich ein Diktator sein“
Man spürt auch den politischen Moment der Versöhnung, weil die „Heiteren Spiele“ von München, wie die Veranstalter sie selbst nennen, erst die zweiten Olympischen Spiele auf deutschem Boden sind - 36 Jahre nach der XI. Olympiade 1936, die von den Nazis als einzige propagandistische Selbstdarstellung missbraucht wurde - und diesmal auch mit israelischen, also jüdischen Sportlern. Ja, man witzelt noch, ob man den jüdischen US-Rekordschwimmer Mark Spitz, nur 27 Jahre nach dem Holocaust, fragen kann, wie es ist, „Gold in Hitlers Garten zu bekommen“.
Zwei entsetzliche und folgenschwere Fehlentscheidungen
Aber dann fallen in der Nacht erste Schüsse, werden die wenigen, die um diese Zeit Dienst im Studio tun, aufgeschreckt, müssen in kürzester Zeit und unter zunehmendem Druck und unter logistischen wie moralischen Herausforderungen reagieren. Auch wenn das die Kompetenz der Sportjournalisten bei weitem übersteigt. Und so kommt es im Laufe des Tages gleich zu zwei entsetzlichen und folgenschweren Fehlentscheidungen.
Die eine ist, live die dilettantische Befreiungsaktion der bayerischen Polizei zu filmen – und damit zu vereiteln. Die andere, am Ende sofort eine noch nicht verifizierte Meldung zu verkünden, alle Geiseln seien lebend befreit worden – was sich danach als tödliche Ente erweist. Nicht nur die Polizisten erweisen sich in dieser Situation als völlig überfordert, sondern auch die Journalisten, die sie dafür kritisieren. Und sich selbst zum Akteur der Ereignisse machen.
Lesen Sie auch: Die zweite Staffel der ZDF-Serie „Der Palast“
Regisseur Tim Fehlbaum hat sich bisher mit dystopischen Postapokalypsen hervorgetan, Postapokalypsen, die die Auswirkungen der Klimakatastrophe mal mit zu viel Sonne („Hell“, 2011), mal mit zu viel viel Wasser („Tides“, 2021) schlimmstmöglich ausmalten. Ein solch realhistorischer Stoff und politischer Zündstoff hätte man dem 42-jährigen Schweizer vielleicht nicht zugetraut. Aber klug beschränkt er sich auf die gewählte Perspektive. Verliert sich auch nicht in Pathos oder Verklärung, sondern hält die Ereignisse ganz nüchtern fest.
Eine weit zurückliegende analoge Ära mit ihren klobigen Apparaten
Da wird auch viel erzählt über eine weit zurückliegende, noch gänzlich analoge Ära mit ihren klobigen, steinzeitlich anmutenden Gerätschaften. Aber auch kleine Absurditäten des Alltags: Weil unter dem ganzen Team zwischen den Entscheidungsträgern Marvin Bader (Ben Chaplin), Geoffrey Mason (John Magaro) und Roone Arledge (Peter Sarsgaard) nur eine einzige Frau mit am Tisch sitzt: die deutsche Assistentin Marianne Gebhardt (Leonie Benesch).
Dies ist allerdings die einzig fiktive Figur in diesem Film. Aber mit ihr wird auch viel über diese Zeit, wenn sie von einem der Techniker rausgeschickt wird, um Kaffee zu holen, obwohl sie die einzige ist, die Deutsch versteht. Später wird derselbe Mann ihr dann einen Kaffee bringen. Da hat einer im Kleinen verstanden, was die Crew im Ganzen lernen muss: wie man mit einer solchen Ausnahmesituation umgeht, die die eigene Kompetenz weit übersteigt.
Aber obwohl Fehlbaum ganz nüchtern bei den Ereignissen vor fast 53 Jahren bleibt - und die Spielszenen mit Archivmaterial verbindet, um das Ganze authentischer zu machen -, wirkt sein Film doch weit über dieses Geschehen hinaus. Weil er grundsätzliche Fragen stellt über die Entstehung von Nachrichten und die Macht und Verantwortung der Medien.
Und die sind in heutigen Zeiten noch viel weitreichender und existenzieller. Weil sie längst von Fake News und zunehmend auch Deep Fakes geprägt sind. Und weil Populisten, die die Pressefreiheit gerne beschränken würden, Medien längst als „Lügenpresse“ diskreditierten. Und das bereits immer mehr verfängt. Eine Lehrstunde in Medienfragen, packend und prägnant dargestellt.