Berlin. Im jüngsten Fall von Ballauf und Schenk geht es um verzweifelte Menschen, die nicht mehr aus der Schuldenspirale herauskommen.
- Am 5. Januar läuft der 92. Fall von Freddy Schenk - und der 100. von Max Ballauf
- Diesmal geht es um einen verschwundenen Schuldeneintreiber und lauter verzweifelte Schuldner
- Besetzung, Kritik, Schnellcheck: die wichtigsten Infos zum aktuellen Kult-Krimi
Dieser „Tatort“ schmerzt. Es ist keiner der üblichen Krimis, bei denen am Ende der Täter gefasst wird und die Welt wieder heil ist. Im Gegenteil. Eigentlich gibt es in dieser Folge aus Köln gar keine Täter, sondern nur Opfer. Und das fast unverschuldet. Und die Grundmisere ist mit der Lösung des Falls auch keineswegs behoben. Der Krimi von Claudia Garde (Regie) und Karlotta Ehrenberg (Drehbuch) richtet den Fokus auf eins der letzten gesellschaftlichen Tabus: die Überschuldung. Was Stand Oktober 5,56 Millionen Deutsche betrifft, also 8,09 Prozent der Bevölkerung. Die das aber meist voller Scham verschweigen.
Ein Mordfall ohne Leiche. Und statt einem Täter gibt es nur Opfer
Die Folge „Restschuld“ beginnt erst mal mit einer verwirrenden Fülle von unterschiedlichen Charakteren, die eingeführt werden und erst mal nichts miteinander zu tun haben. Sie alle aber wirken erschöpft, getrieben, erloschen. Bis auf einen. Fabian Pavlou (Thomas Hauser) fährt vergnügt in seinem schicken Wagen nach Hause.
Zum fünften Mal in Folge er ist er zum Mitarbeiter des Jahres gewählt worden und darf dafür einen satten Bonus einstreichen, wie er seinem Mann David Gross (Vladimir Korneev) noch im Auto per Audio-Anruf stolz erzählt. Dann aber wird der von Ferne Zeuge, wie Pavlou im Auto überfallen und schwerst verletzt wird. Danach ist er mitsamt seinem Wagen verschwunden. Ein Mordfall ohne Leiche.
Die Ermittlungen führen die Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, für den diese Folge der 100. Fall ist) und Freddy Schenk (Dietmar Bär, der hier zum 92. Mal ermittelt) in das Unternehmen Correct Inkasso. Dort war Pavlou angestellt, als Schuldeneintreiber. Und die Personen, die wir anfangs gesehen haben, sind alle Menschen, die sich verschuldet haben. Und die Herr Pavlou deshalb in der letzten Zeit immer wieder aufgesucht hat.
Rigide Praktiken zur Schuldeneintreibung, die einen entsetzen
Wie die Ermittler feststellen müssen - vor allem das Technik-Ass Norbert Jütte (Roland Riebeling), das sich direkt in der Firma ins Großraumbüro setzt und mit großen Augen die Praktiken verfolgt -, geht das Unternehmen dabei aber keineswegs korrekt, sondern mit rüden und auch juristisch höchst fragwürdigen Methoden vor, um die Schuldner unter Druck zu setzen.
Dabei sind die meisten von ihnen in die Schuldenspirale reingerutscht, aus der sie dann mit eigener Kraft nicht mehr herauskommen: wie die Musikerin (Tilla Kratochwil), die krankheitsbedingt ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, und ihr Mann (Roman Knižka), ein Lehrer, der arbeitslos wurde, und die nun beide ihr Haus nicht mehr abbezahlen können. Oder die geschiedene Familienmutter (Katharina Maria Schubert), die für ihren Mann gebürgt hat, der jetzt insolvent ist, weshalb sie seine Schulden tragen soll. Oder der Masseur (Ben Münchow), der, kaum erwachsen, zu viel auf Raten gekauft hat und jetzt in einem Keller leben muss.
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Die Kommissare haben erst unterschiedliche Meinungen dazu. Ballauf meint, wie wohl erst mal auch der gesunde Volksverstand, wer Schulden mache, müsse sie auch begleichen. Schenk sieht das ein wenig differenzierter und wäscht dem Kollegen den Kopf.
Wie sich herausstellt, hat auch er mal einen Vertrag unterzeichnet, dessen Kleingedrucktes er nicht genau studiert hat, woran er lange knabbert. Beiden aber gehen die Augen über, als sie erkennen, wie die potenziell Verdächtigen versuchen, ihre bürgerliche Scheinfassade aufrechtzuerhalten, auch aus Scham, sich Hilfe zu suchen. Und das geht nicht nur den Kommissaren, sondern auch dem Zuschauer an die Nieren.
Der Fall wird zwar gelöst, das Elend aber bleibt
Eine ganz starke Folge. Die an die besten Zeiten des deutschen Fernsehfilms in den 70er-Jahren erinnert, die Hochphase des sozialkritischen Fernsehspiels. Damals musste noch nicht alles im Krimiformat erzählt werden. Seither hat sich leider einiges geändert. Aber umso schöner, wenn eine Krimireihe wie der „Tatort“ mal nicht bloß auf die übliche Wer-war’s-Spannung setzt, sondern genau auf gesellschaftliche Missstände hinweist, die man gern verdrängt. Und den Zuschauer dann auch nicht mit einem Irgendwie-Happyend entlässt.
Der Fall wird zwar gelöst, das Elend aber bleibt. Am Ende stehen die Kommissare desillusioniert vor dem Werbeplakat eines Unternehmens, das Geld cash auf die Hand verspricht: „Leben willst du jetzt – bezahlen kannst du später“. Der Slogan sollte jedem eine Mahnung sein.
„Tatort: Restschuld“: ARD, 5. Januar, 20.15 Uhr