Berlin. Nach über Hundert Jahren hat der US-Kultfilmer Robert Eggers den deutschen Horror-Stummfilmklassiker neu verfilmt: „Nosferatu - Der Untote“

Das neue Jahr beginnt mit altem Horror. Wie deucht uns alles so bekannt. Ein abweisendes einsames Schloss mitten im Wald, eine Symphonie aus Nacht und Nebel, Schatten und Grüften. Und mittendrin ein Monster mit verkrümmtem Körper, spitzen Ohren und überlangen Fingernägeln, das nur nachts lebt und tags im Sarg schläft.

Das „gar syndlos wyb“ ist diesmal so unschuldig nicht

Ein Vampir aus dem fernen Transsylvanien, den es in den Westen zieht, weil es ihm das Antlitz einer jungen, betörenden Frau angetan hat. „Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens“ von Friedrich Wilhelm Murnau schrieb 1922 Filmgeschichte. Jetzt, über 100 Jahre später, kehrt der Untote zurück. Mit teils denselben, liebevoll nachgestellten Bildern, das Schwarzweiß von einst nur dezent eingefärbt.

Und doch ist alles ganz anders. Denn die junge Frau, deren Bildnis in einem Amulett den Blutsauger in die Fremde lockt, sie ist hier nicht das „gar sündlos Wyb“, wie es damals hieß, das sich für die Gemeinschaft opfert und dem Monster hingibt, bis ihn im Morgengrauen die Sonne verbrennt.

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Nein, in der Neuversion „Nosferatu - Der Untote“ hat diese Ellen schon vorher Visionen von diesem Monster, hat es halluziniert und damit erst hervorgerufen. Wurde wegen ihrer Vorahnungen für überspannt, aber auch wahnsinnig gehalten. Und nun bittet und fleht sie, mit gefalteten Händen: „Komm zu mir. Höre mein Rufen.“ Und meint damit nicht etwa Gott. Ein Lockruf für das spätere Grauen.

Aber auch der Mann, der den Vampir verfolgt und als moderner Wissenschaftler bekämpft, ist hier ein anderer, ein Alchimist namens Professor Albin Eberhart von Franz, der letztlich ebenso manipulativ und rückwärtsgewandt ist wie der gruselige Vampir. Am liebsten würde er die Welt in die Zeit vor der Aufklärung zurückkatapultieren, wofür er am Ende sogar einen Weltenbrand entfacht. Wer, fragt man sich, ist da das größere Monster.

„Nosferatu“ ist wieder schwer in Mode. 1922 war der Name noch ein Trick, um Bram Stokers Schauerroman „Dracula“ zu verfilmen, ohne Tantiemen zahlen zu müssen. Locker nahm Murnau dafür einen Urheberrechtsstreit in Kauf. Und fand einen adäquaten Hauptdarsteller in einem Mann, der tatsächlich Max Schreck hieß und für maximalen Schrecken im Kino sorgte.

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Nosferatu / F.W.Murnau - Nosferatu / F.W.Murnau / 1922 -
Das Original: F. W. Murnaus „Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens‘“ von 1922 mit Max Schreck. © picture alliance / akg-images | akg-images

Längst steht Nosferatu in der Gothic-Welt des Horrors auf einem ähnlichen Sockel wie Dracula. Werner Herzog verfilmte den Stoff 1979 neu als „Nosferatu: Phantom der Nacht“, mit Klaus Kinski in der Titelrolle und einem internationalen Cast, allen voran Isabelle Adjani als Ellen. Der Neue Deutsche Film, wie der hiesige Autorenfilm damals genannt wurde, nahm sich des ganz alten Films, der Hochzeit des deutschen Expressionismus, an.

„Nosferatu“: Über zehn Jahre arbeitete Robert Eggers an diesem Film

Im neuen Jahrtausend ist der Horror gänzlich in der Neuen Welt angekommen. Mit völlig neuen Ansätzen. Der US-Film „Shadow of the Vampire“ verschmolz im Jahr 2000 die Fabel des Films mit dessen Entstehung, in dem ein von John Malkovich verkörperter Murnau einen echten Vampir (Willem Dafoe) als Hauptdarsteller seines Films anheuert und damit eine Katastrophe auslöst. Vor einem Jahr lief „Die letzte Fahrt der Demeter“ an, ein US-Horrorfilm, der nur eine kleine Episode aus „Nosferatu“ erzählt, wie der finstere Graf mit einem Schiff nach Deutschland kommt und unterwegs die Mannschaft an Bord dezimiert.

Robert Eggers aber, der Mann, der 2015 gleich mit seinem ersten Film „The Witch“ Kultstatus erlangte und ihn 2021 mit „Der Leuchtturm“ verfestigte, wollte schon immer „Nosferatu“ neu verfilmen. Hat auch schon als 17-Jähriger auf dem College eine Theateraufführung davon inszeniert. Und sich seit 2010 mit dem Stoff beschäftigt. Eigentlich wollte er „Nosferatu“ gleich nach „The Witch“ drehen.

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NOSFERATU: PHANTOM DER NACHT, Isabelle Adjani (front), Klaus Kinski, 1979, TM & Copyright © 20th Cen
Erste Neuversion: Werner Herzogs „Nosferatu – Phantom der Nacht“ 1979 mit Klaus Kinski und Isabelle Adjani.  © picture alliance / Everett Collection | ©20thCentFox/Courtesy Everett Collection

Doch lange blieben die Urheberrechte - auf die Murnau einst gepfiffen hat – unklar. Am Ende kam sein Film nicht mal zum 100-Jährigen von Murnaus Klassiker ins Kino. Im vergangenen Jahr ist ihm sogar ein anderes US-Remake vorweggenommen. David Lee Smiths „Nosferatu“ hat es allerdings nie in die deutschen Kinos geschafft. Eggers’ „Nosferatu - Der Untote“ dagegen feierte hier sogar seine Weltpremiere, Anfang Dezember im Berliner Zoo Palast.

Bill Skarsgård ist selten zu sehen und kaum zu erkennen

Eggers, das hat er schon in seinen vorherigen Filmen bewiesen, ist ein Meister im Kreieren fantastischer Welten. Mit großem Aufwand lässt er ein finsteres Transsylvanien entstehen und die fiktive altdeutsche Hansestadt Wisborg. Wieder erzählt er von dem Ruf des Geldes, der den jungen Immobilienmakler Hutter (Nicolas Hoult) ins ferne Transsylvanien führt, weil dort ein seltsamer Klient unbesehen ein Wisborger Haus kaufen will. Und er erzählt vom Ruf der Lust und des Bluts, der diesen finsteren Kunden in die Nähe von Ellen (Lily-Rose Depp) zieht. Und mit dem auch Ratten in die Hansestadt kommen, die die Pest bringen und den Tod.

Zum dritten Mal, nach „Der Leuchtturm“ und „The Northman“ (2022), spielt Willem Dafoe wieder in einem Eggers-Film. Da hätte es nahe gelegen, dass er noch einmal den Orlok gibt, wie in „Shadow of the Vampire“, und dafür war er zunächst auch vorgesehen. Stattdessen spielt er nun dessen Gegenspieler. Orlok dagegen wird verkörpert von Bill Skarsgård, der vor allem als gruseliger Pennyman aus der Neuverfilmung von Stephen Kings „Es“ bekannt ist.

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SHADOW OF THE VAMPIRE
Willem Dafoe im Jahr 2000 als Monster in „Shadow of The Vampire“. © picture alliance/United Archives | United Archives / kpa Publicity

So etwas Böses wolle er nie wieder spielen, hat Skarsgård nach „Nosferatu“ gesagt. Für diese Rolle hat er täglich sechs Stunden in der Maske gesessen. Aber eigentlich umsonst. Denn, das ist das Hauptproblem des Films, der Graf ist fast nie zu sehen, sondern nur in Schatten oder Ausschnitten zu erahnen. Ein Grauen, das sich nie nie erfüllt.

Und so geht es irgendwie dem ganzen Film. Auch wenn Eggers sich dabei an anderem Horror wie „Der Exorzist“ bedient und viel Blut fließen lässt, bleibt das Ganze doch irgendwie – blutleer. Es stimmt alles, Ausstattung, Maske, Kostüme, Soundtrack. Und doch mag sich kein Grusel, kaum mal ein Gänsehäutchen einstellen.

Eggers‘ Kinouniversum war schon immer rückwärtsgewandt

Dabei könnte man sie schon ziehen, die Parallelen der damaligen und der heutigen 20er-Jahre. Nicht nur durch die Pest, bei der man damals an die Spanische Grippe dachte und heute wohl an Corona denken wird. Siegfried Kracauer hat damals in seinem Buch „Von Caligari bis Hitler“ in dem Horror des deutschen Expressionismus einen Vorboten des aufziehenden Nationalsozialismus gesehen und in dem Vampir einen autoritären Tyrannen. Sollte der neue Nosferatu nun eine Metapher auf Donald Trump sein, der die moderne Demokratie in die Steinzeit zurückkatapultiert?

Das könnte man locker in diesen Film hineindeuten. Eggers hat es aber nicht auf derlei abgesehen. Er belässt es bei reiner, wenn auch noch so detailverliebter Nostalgie. Sein Kinouniversum war schon immer eher rückwärtsgewandt. Und sein Frauenbild erweist sich hier als höchst problematisch.

Horror USA 2024, 133 min., von Robert Eggers, mit Lily-Rose Depp, Bill Skarsgård, Willem Dafoe, Nicolas Hoult, Emma Corrin, Aaron Taylor-Johnson