Berlin. Sie will der europäischen Idee dienen: Die französische Schauspielerin über ihr neues Amt als Präsidentin der Europäischen Filmakademie.

Sie ist eine der großen Filmstars von Frankreich. Und längst auch im Weltkino zuhause. Seit Mai spielt Juliette Binoche aber noch eine andere Rolle. Sie ist die Präsidentin der Europäischen Filmakademie (EFA), die den Europäischen Filmpreis verleiht. In der langen Geschichte der EFA, die 1988 in Berlin gegründet wurde und auch ihren Sitz hier hat, ist sie erst die Vierte in dem Amt – und die erste Schauspielerin nach den Regisseuren Ingmar Bergman (1988-95), Wim Wenders (1996-2020) und Agnieszka Holland (2020-2024). Wie sie für das europäische Kino einstehen will, sagt uns die 60-Jährige im Interview.

Sie sind die neue Präsidentin der Europäischen Filmakademie. Wie fühlt sich das an?

Juliette Binoche: Großartig. Es ist ein solches Privileg, nach den drei großartigen Präsidenten, Denkern und Künstlern zuvor. Ich habe auch schon Wim Wenders und Agnieszka Holland getroffen, das war sehr emotional für mich. Denn ich bewundere ihre Arbeit seit langem, und der europäische Film liegt ihnen wirklich am Herzen. Wie mir auch. Ich möchte, wie sie, kein Aushängeschild sein, sondern wirklich etwas bewegen.

Sie sind eine viel gefragte Schauspielerin. Wo nehmen Sie bei all Ihren Projekten die Zeit dafür?

Allein die Reden vorzubereiten, frisst wirklich Zeit. Ich habe die Laudatio auf Wim Wenders gehalten und dafür alle seine Filme gesehen. Und die sind lang! Aber es war mir ein Bedürfnis, die Rede selbst zu schreiben. Und dafür auch alle Filme zu sehen. Das ist eine große Ehre, aber das muss von Herzen kommen. Und braucht entsprechend. Aber das ist ja nur, was von außen sichtbar ist. Die Akademie ist gerade dabei, einiges zu verändern. Damit beschäftigt sie sich schon eine Weile, ich schubse sie da nur noch ein bisschen an.

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SWITZERLAND EUROPEAN FILM AWARDS LUZERN
Am 7. Dezember trat Juliette Binoche erstmals bei einer Verleihung des Europäischen Filmpreises als Präsidentin der Akademie auf. Und brachte einen Stein von den Farööer-Inseln mit, wo der allererste Präsident Ingmar Bergman gelebt hat. © picture alliance/KEYSTONE | Michael Buholzer

Um welche Veränderungen geht es?

Ich kann noch nichts verraten. Aber bereits bekannt ist ja, das wir die Preisverleihung verschieben. Bislang fand sie immer im Dezember statt, in der Weihnachtszeit, was für viele ein Problem war. Die nächste wird es erst Mitte Januar 2026 in Berlin geben. Wir sind dann mitten in der „Award Season“, was uns hoffentlich etwas pusht. Wir versprechen uns davon mehr Aufmerksamkeit, für den Preis, aber vor allem für europäische Filme.

Die Akademie kennen die meisten nur, weil sie den Filmpreis verleiht. Was kann sie darüber hinaus leisten?

Wir tun ja schon einiges. Es gibt Bildungsprogramme, um die Kinozuschauer von morgen an den Film heranzuführen. Und Projekte, um junge Menschen bei der Herstellung von Kurzfilmen zu unterstützen. Solche Aktivitäten sind sicher noch ausbaufähig. Ich habe gerade angefangen, mich mit Filmschaffenden auszutauschen, was für sie ein europäischer Film ist und wie das europäische Kino sie inspiriert hat.

Wie war das bei Ihnen? Wurden Sie mit europäischen Filmen groß ?

Ja, sehr. Damals liefen ja noch mehr Filme aus anderen Ländern. Und meine Mutter liebte Kino. Sie nahm mich oft mit. Und hat immer ihren Mantel auf meinen Sitz gelegt, damit ich höher sitzen und besser sehen konnte. Ich habe auch früh begonnen, Untertitel zu lesen.

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Juliette Binoche als beste europäische Schauspielerin geehrt
1997 gewann Juliette Binoche selbst einen Europäischen Filmpreis, für „Der englische Patient“. © picture-alliance / dpa | Wolfgang Kumm

Und was ist europäisches Kino für Sie?

Europa ist nicht nur eine wirtschaftliche oder politische Union. Es geht auch um ein kulturelles Europa. Das hat die Akademie schon immer etwas weiter gefasst. Weil auch Länder wie die Ukraine, Russland, Palästina, Israel, die Türkei und Georgien einbezogen werden. Es sind genau die Differenzen, die Unterschiede, die das europäische Kino ausmachen. Andere Sprachen, andere Ausdrucksformen, andere Arten zu erzählen. Das ist, was wir feiern wollen: die Vielfalt. Und die Liebe zu unseren Unterschieden.

Als Filmstar genießen Sie große Popularität. Werden Sie das für Ihre Akademie-Arbeit nutzen können?

Das hoffe ich. Wenn ich dafür „benutzt“ werden kann, dann gern. Es geht darum, einer Sache zu dienen, eine Idee zu unterstützen und Künstlern zu helfen, Geschichten zu erzählen, die wir sehen, hören und verstehen müssen.

Die Akademie hat derzeit rund 4000 Mitglieder. Wie sehen Sie die Wachstumschancen?

Der Vorstand hatte das wohl im Hinterkopf, als er mich auf die Präsidentschaft ansprach: weil sie mehr Franzosen überzeugen wollen, in die Akademie einzutreten. Frankreich war von Anfang an dabei, ist aber nicht sehr aktiv. Aus Deutschland gibt es fast 600 Mitglieder, aus Frankreich nicht mal die Hälfte. Im Moment trägt vor allem Deutschland die Kosten, auch das wollen wir anders verteilen. Wir hoffen, dafür die französische Filmkommission CNC zu gewinnen. Auf der anderen Seite will Deutschland auch nicht loslassen. Wir müssen einen Weg finden, der für alle passt. Aber momentan haben wir keine Regierung in Frankreich. Wir müssen also geduldig sein, wenn wir Unterstützung wollen.

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European Film Awards 2024 in Luzern
„Das war überfällig“: Wim Wenders erhielt den Ehrenpreis fürs Lebenswerk. Juliette Binoche hielt die Laudatio. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Sebastian Gabsch/Geisler-Fotopre

Nicht immer kommen alle Nominierten zum Europäischen Filmpreis. Wenn sie dagegen für die Oscars nominiert sind, ist das ganz anders. Denken viele nicht europäisch genug? Und wie können Sie das ändern!

Ich rufe sie an! (lacht) Es können nicht immer alle Nominierten kommen, weil sie hier und dort drehen und vielbeschäftigt sind. Aber ich tue mein Bestes. Und es ist doch ein Privileg, nominiert zu sein. Aber manche werden so oft nominiert, dass sie das Gespür dafür verlieren. Ich sehe es als eine Feier. Ich war mal für den Europäischen Filmpreis nominiert, als Wim noch Präsident war. Und er war so froh, dass ich wirklich gekommen bin. Ich frage mich damals: Warum ist er so glücklich? Jetzt weiß ich es.

Es wurde in den letzten Jahren viel über die Frauenquote beim Film diskutiert. Hat sich da endlich etwas getan?

Ja. Es ist ermutigend, dass es immer mehr Frauen auf dem Regiestuhl gibt. Und es ist auch nötig, dass Frauen endlich ihre eigenen Geschichten erzählen. Dieses Jahr durfte ich bei den Césars, dem Filmpreis der französischen Filmakademie, die Kategorie Beste Schauspielerin präsentieren. Und alle fünf nominierte Rollen waren geschrieben und inszeniert von Frauen. Das macht mich sehr glücklich. Als ich bim Film anfing, war das ganz und gar nicht der Fall.

Fühlen Sie das als Schauspielerin, ob eine Rolle für Sie von einem Mann oder einer Frau geschrieben wurde?

Nein. Aber vielleicht liegt das auch an mir, weil ich mich mit dieser Frage nicht befassen will. Mir geht es um Sensibilität, die Herangehensweise, um den Anspruch und die Notwendigkeit der Geschichte. Ich bin auf der Arbeit auch ziemlich direkt. Und mache da keinen Unterschied, ob ich mit einem Mann oder einer Frau arbeite.

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Juliette Binoche im Gespräch mit Funke-Redakteur Peter Zander.
Juliette Binoche im Gespräch mit Funke-Redakteur Peter Zander. © Peter Zander | Peter Zander

Wim Wenders bekam dieses Jahr den Ehrenpreis fürs Lebenswerk. Ist das nicht auch seltsam, wo er so lange Präsident der Akademie war?

Aber nein, im Gegenteil. So viele Jahre konnte man ihm den Preis nicht vermachen, weil er Präsident war. So viele andere haben den Ehrenpreis vor ihm bekommen. Es war wirklich überfällig, ihn jetzt an ihn zu vergeben.

Wim Wenders war 24 Jahre Präsident. Wie lange sehen Sie sich in dieser Position?

Oje, eine gute Frage. Dann wäre ich ja ziemlich alt. Natürlich möchte der Vorstand, dass ich das Amt eine Weile bekleide. Gewöhnlich wird man für vier bis sechs Jahre ernannt und gegebenenfalls verlängert. Wir werden sehen, wie lange ich gebraucht werde. Und wie lange ich dieses Ehrenamt mit meiner Arbeit verbinden kann. Vier bis sechs Jahre sind erstmal überschaubar.