Essen. Die Emmy-Gewinnerin und „Spiegel“-Beststellerautorin veröffentlicht ein neues Werk. Über „Princess Standard“ spricht die 43-Jährige im Interview.

Das abgründige Krimidrama „Liebes Kind“ hat Ende November in New York den Internationalen Emmy in der Kategorie „Fernsehfilm/ Miniserie“ gewonnen. Die deutsche Netflix-Serie basiert auf dem gleichnamigen Roman von Romy Hausmann, der 2019 rauskam und der lange darbenden Schriftstellerin den großen Durchbruch bescherte. Nun ist Romy Hausmann 43, hat gerade ihren nächsten Thriller fertiggestellt und zusammen mit der Kölner Indie-Band Fortuna Ehrenfeld ihre vertonte Poesiesammlung „Princess Standard“ veröffentlicht. Wir sprechen per Video mit ihr.

Glückwunsch noch zum Emmy, Romy Hausmann! Wo steht er denn?

Hausmann: Im Büro von Isabel Kleefeld, der Regisseurin. Ich durfte ihn anfassen und einmal drüber lecken. Das reicht mir fürs ganze Leben.

Wie erinnern Sie sich an die Preisverleihung?

Wir saßen zusammen an einem Tisch, und ich musste direkt in meinen Salat heulen. Noch nicht mal die Vorspeise habe ich also ohne Tränen geschafft (lacht). Ich konnte es einfach nicht fassen, dort zu sein, in diesem Saal, bei dieser Feier. Das war auch mein erstes Mal in Amerika überhaupt, und dann gleich bei den Emmys! Als sie „Dear Child“ aufriefen und alle am Tisch sofort aufsprangen und jubelten, bin ich sitzengeblieben. Die anderen haben mich dann mitgeschleppt auf die Bühne.

Was haben Sie gedacht?

Emotional hat mich das total angefasst. Als ich „Liebes Kind“ schrieb, war ich Mitte 30, hatte keine Kohle, war alleinerziehende Mutter. Jahrelang kam ich mir vor wie die größte Loserin, ich habe sehr viel Ablehnung erfahren. Und dann stehe ich plötzlich da oben. Das war wirklich total krass für mich.

Waren Sie stolz auf sich?

Ja, ich war auch stolz auf mich. Kann man ja ruhig mal sein.

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Sie waren mit 24 schon Redaktionsleiterin bei einer TV-Produktionsfirma in München, mit 27 sind Sie Mutter geworden, später haben Sie zwei erfolglose Frauenromane geschrieben.

Ich würde auch schreiben, wenn ich meinen Lebensunterhalt nicht damit verdienen würde. Mir war aber klar, dass ich dieses Leben so nicht mehr länger hätte führen können, alleine für ein Kind verantwortlich, finanziell immer auf halber Hüfte. Mir war es hochnotpeinlich, immer wieder meine Mama fragen zu müssen, ob sie mal 20 Euro hat, damit ich einkaufen kann. Ich kam aus einem guten Job, wollte dieses Leben als Mutter aber nicht mehr führen, gerade weil es keinen Papa gab. Das war eine existenzielle Entscheidung. Ich habe auf viel verzichtet, aber es auf andere Weise doppelt und dreifach zurückbekommen.

So sind Sie „Liebes Kind“ also angegangen? Mit dem Mut der Verzweiflung?

Ich habe mir ganz dramatisch an Silvester geschworen, dass ich noch einen Text schreibe, in den ich wirklich alles hineingebe, was ich habe. Also einmal noch „volle Lotte“, und dann wollte ich mir angewöhnen, gesünder zu schreiben und das nur noch als Hobby zu machen. Auf diesem Pegel hätte es mich sonst kaputt gemacht. Das Manuskript zu „Liebes Kind“ habe ich an meinem Geburtstag fertigbekommen. Ich saß in einem alten Schlafanzug vor meiner Nachtspeicherheizung, die nicht richtig funktionierte.

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Wie sieht er aus, der totale Schreib-Exzess?

Ich gehe gern an meine Grenzen, schreibe drei, vier Monate lang Tag und Nacht, schlafe nur wenig. Vor zwei Jahren bei meinem Projekt „True Crime. Der Abgrund in dir“ erreichte ich den Tiefpunkt. Ich hatte zehn Kilo abgenommen und drei Schachteln Kippen am Tag geraucht. Da merkte ich selber: Das ist ein Schritt zu weit. Ich habe danach lange gebraucht, um mich körperlich wieder hinzubekommen.

Warum hat Sie das True-Crime-Buch so besonders mitgenommen?

Es gab einen Fall, den von Phoebe Handsjuk aus Australien, die tot in einem Müllschacht aufgefunden wurde, der mich nicht mehr losgelassen hat. Ich nahm Kontakt auf zu Phoebes Mutter Natalie, daraus entwickelte sich eine intensive E-Mail-Brieffreundschaft. Je mehr mir Natalie über ihre Tochter erzählte, desto stärker dachte ich „Das hätte auch ich sein können“. Auch Phoebe hat immer einen Tick zu viel gefühlt und wusste nicht, wohin mit den ganzen Gefühlen. Sie hatte extreme Phasen, die sie mit Drogen reguliert hat. Ich habe nie in meinem Leben Drogen genommen, aber aufgrund meiner Persönlichkeitsstruktur wäre ich gefährdet. Zum Glück habe ich meinen Sohn und das Schreiben. Das erdet und festigt mich.

Wie alt ist Ihr Sohn jetzt?

Der ist fünfzehn. Ein cooler Typ mit Bart und Dauerwelle (lacht).

In „Liebes Kind“ geht es um zwei Kinder und eine Mutter, die jahrelang gefangen gehalten werden. Hatten Sie reale Vorbilder?

Natascha Kampusch. Ich habe damals ihr erstes Fernsehinterview mit Günther Jauch gesehen. Das werde ich nie vergessen. Ich dachte, wie kann eine junge Frau, die acht Jahre lang eingesperrt war, die keinen Zugang hatte zu Bildung, wie kann die nur so klug und reflektiert sein? Hannah und ihr kleiner Bruder Jonathan kennen die Welt draußen nicht. Ihre Normalität ist die Gefangenschaft mit ihren Eltern. Und dann plötzlich hast du den Zusammenprall mit der Wirklichkeit. Das ist für mich das Spannende an „Liebes Kind“.

Ihre Romane sind ein Stück feinfühliger als die so mancher Kollegen, die gern mit dem Holzhammer draufhauen. Absicht?

Ja. Blut und Gedärme sind nicht mein Ding. Ich stehe mehr auf Kopfkino, auf hintergründige Psychologie. Am Unheimlichsten finde ich es, wenn sich Verbrechen im kleinsten Kreis abspielen – in der Familie. Wenn dir etwas passiert in einem Umfeld von Menschen, denen du am meisten vertraust – das ist das Allergrausamste. Das reißt dich emotional in Stücke. Und es kann auch jeder nachvollziehen. Wir alle haben eine Mutter oder einen Bruder. Aber nur die Wenigsten sind persönlich mit einem Serienmörder bekannt.

Ist mit Ihnen und Ihrer Familie soweit alles in Ordnung?

(lacht) Meine Mama hat mich auch gefragt, warum bei mir die Mütter so oft Täterinnen oder Todesopfer sind. Ich weiß es auch nicht. Ich habe ein ganz tolles Verhältnis zu meiner Mutter. Zwischen meinen Eltern und mir ist nichts unaufgearbeitet.

Ihr neues Werk „Princess Standard“ ist ein komplett anderes Buch. Es besteht aus 52 Gedichten, teilweise auch nur poetischen Fragmenten, in englischer Sprache, von zärtlich und sanft bis düster und sexuell sehr explizit. Sie haben die Texte auf einer alten Princess-Standard-Schreibmaschine vom Flohmarkt geschrieben. Welche Teile Ihrer Persönlichkeit sind in diese Gedichte geflossen?

Alle! (lacht) Ich habe einfach alles rausgeschrieben, ohne mir viel dabei zu denken. Dieses Buch entspricht dem Leben. An manchen Tagen fühlen wir uns wie ein kleiner Schmetterling, an anderen möchten wir nur betrunken auf dem Boden rumliegen. In der Poesie geht es ganz viel um Akzeptanz und das Loslassen-Lernen, das hat für mich etwas Friedliches und Tröstendes.

Wo ist denn Ihre alte „Princess Standard“ jetzt?

Im Wohnzimmer. Ich habe sie kaputtgeschrieben. Sie hat das Buch leider nicht überlebt (lacht).

Wie kam es dazu, dass sich der Kölner Martin Bechler mit seiner Band Fortuna Ehrenfeld der Vertonung Ihrer Poesie angenommen hat?

Durch Erpressung. Ich kenne Martin schon länger und mag die Musik von Fortuna Ehrenfeld sehr gern. Wir haben uns angefreundet, waren Sushi essen, und da holte ich meinen Stapel Gedichte aus der Tasche und zeigte sie ihm. Er war erstmal null begeistert, aber dann hat er reingelesen und nach dem zweiten Text gesagt: „Wir machen es!“

Auch musikalisch sind die Nummern jetzt extrem unterschiedlich, manche sind vom Klavier geprägt, andere wie „Fuck Me To The Moon“ rütteln mit hartem Elektro durch.

Ja, so sollte das auch sein. Martin konnte sich die Gedichte aussuchen, und dass er „Fuck Me To The Moon“ nimmt, war irgendwie klar. Uns war wichtig, dass Text und Musik auf Augenhöhe sind, kein Element ist wichtiger als das andere.

Wie sehen Ihre gemeinsamen Konzerte aus?

Ich glaube, wir werden eine coole Show auf die Beine stellen. Ich habe noch nie Konzerte gespielt, ich habe da richtig Bock drauf.

Tournee mit Fortuna Ehrenfeld

Romy Hausmann geht im Februar und März mit Fortuna Ehrenfeld und ihren Gedicht-Vertonungen auf Tournee:
4.2.2025 Leipzig, Werk 2
5.2.2025 München, Muffathalle
15.2.2025 Frankfurt, Zoom
16.2.2025 A- Wien, Szene
20.2.2025 CH - Hunziken, Mühle Hunziken
21.2.25 Stuttgart, Theaterhaus
4.3.2025 Hamburg, Imperial Theater
5.3.2025 Berlin, Heimathafen

Haben Sie den nächsten Thriller eigentlich schon in Planung?

Der ist sogar schon fertig und kommt im nächsten Jahr raus. Begleitend mache ich mit Mark Benecke wieder einen Podcast, darin geht es um die True-Crime-Fälle, die den neuen Roman mit inspiriert haben. Das Buch ist fiktional, aber ich habe einige echte Fälle darin verwoben.

Welche denn?

Zum Beispiel den von JonBenét Ramsey, der Kinderschönheitskönigin, die in den 90er-Jahren mit sechs Jahren ermordet im Keller ihres Elternhauses gefunden wurde. Oder den Fall des Vlado Taneski, eines mazedonischen Journalisten und Serienkillers, der den Auffälligkeiten bei mehreren Frauenmorden nachging, bis sich herausstellte, dass er selbst diese Morde begangen hatte. Die Realität ist zum Teil wirklich noch krasser als das, was du dir ausdenken kannst.

Liest Ihr Sohn Ihre Bücher eigentlich gern?

Nee, der steht mehr auf Mangas. Der Junge ist ziemlich abgeklärt, er hat mit sechs beim gemeinsamen Filmgucken schon gesagt „Das ist doch Kunstblut“. Aber die „Liebes Kind“-Serie hat er schon auch gesehen.

Sie sind im thüringischen Arnstadt geboren und leben in der schwäbischen Provinz in der Nähe von Göppingen. Wie sieht Ihr Alltagsleben aus?

Nicht sehr spannend. Ich habe hier in Schwaben mein Abitur gemacht, bin dann weg, meine Eltern leben nach wie vor hier. Dadurch, dass ich alleinerziehend bin, ist es cool, wenn Oma und Opa in der Nähe sind. Einen großen Teil meines Lebens nimmt das Schreiben ein, und ansonsten habe ich es gern ruhig. Ich lege Wert auf Freundlichkeit und Empathie, im Zusammenleben mit meinem Partner und meinem Sohn brauche ich es kuschelig.