Essen. „Das Haus, in dem Gudelia stirbt“ ist Thomas Knüwers Verlags-Debüt. International gewinnt „Das schwarze Chamäleon“ von Jake Lamar.
Der Deutsche Krimipreis 2024 geht in der Kategorie „National“ an Thomas Knüwer. Er gewann den zum 41. Mal vergebenen Preis mit seinem Titel „Das Haus in dem Gudelia stirbt“, der im Bielefelder Pendragon Verlag erschien. Auf Platz 2 bei den Wertungen der 23-köpfigen Jury aus Krimikritik und Buchhandel landete Matthias Wittekindts Titel „Hinterm Deich“ aus dem Kampa-Verlag. Er verwies Karina Urbachs „Das Haus am Gordon Place“ auf den dritten Platz.
Mit dem undotierten Deutschen Krimipreis werden seit 1985 alljährlich Autorinnen und Autoren für Romane gewürdigt, in denen sie dem Genre literarisch gekonnt und inhaltlich originell neue Impulse geben. Unter der organisatorischen Obhut des vom Essener Krimi-Experten Reinhard Jahn gegründete Bochumer Krimi Archivs hat die Jury aus führenden die Neuerscheinungen des Jahres 2024 „kritisch und unabhängig geprüft“.
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Unter den internationalen Titeln gewann der US-Amerikaner Jake Lamar mit seinem in der Edition Nautilus erschienenen Campus-Roman „Das schwarze Chamäleon“. Auf dem zweiten Platz landete Lavie Tidhar mit „Maror“ vor Lisa Codys „Die Schnellimbissdetektivin“.
Zu den einzelnen Büchern:
1. Platz: Thomas Knüwer: „Das Haus in dem Gudelia stirbt“ (Pendragon)
Eine Sturmflut sucht das kleine Dorf Unterlingen heim, Wassermassen drängen die Anwohner aus ihren Häusern – nur eine bleibt, so wie sie es schon immer getan hat: Gudelia. Sie blieb 1984, als ihr Sohn ermordet wurde, 1998, als sie sich von ihrem Mann trennte, und auch jetzt, als ihr Haus in den Fluten einzustürzen droht. Nicht einmal die beiden gefesselten Leichen, die an ihrem Fenster vorbeitreiben, können sie umstimmen. Denn Gudelias Gedanken gelten nur ihrem Haus, in dem sich ihr dunkelstes Geheimnis verbirgt.
„Thomas Knüwers Debütroman ,Das Haus, in dem Gudelia stirbt‘ ist ein Hammer. Gewieft wie ein alter, erfahrener Autor navigiert Knüwer zwischen drei Erzählebenen, den Jahren 1984, 1998 und heute, geschickt baut er weite Spannungsbögen auf. Seine Hauptfigur und Ich-Erzählerin ist Gudelia Krol. Sie gehorcht nur ihrem eigenen Kompass, handelt gänzlich anders, als von ihr erwartet wird. Und das nicht nur im Alter, sondern auch schon vierzig Jahre zuvor, als ihr über alles geliebter Sohn Nico erschlagen in einem Straßengraben lag. Für mich gehört diese Gudelia in die Reihe der großen widerspenstigen Alten Damen der Weltliteratur.“ Tobias Gohlis, Deutschlandfunk Kultur
2. Platz: Matthias Wittekindt: „Hinterm Deich“ (Kampa)
Der neunzehnjährige Manz verbringt sein Polizeipraktikum in der Dienststelle des gottverlassenen Dörfchens Sandesiel an der Nordseeküste. (…) Als es auf einer Landstraße zu einem schweren Verkehrsunfall mit zwei Toten kommt, schickt Manz’ Bärenführer Rönne ihn los, die Bewohner der umliegenden Höfe zu befragen. Gerüchte über die Unfallstelle werden Manz zugetragen: Bauer Eggert (…) sei dort verprügelt worden, weil er seine drei Töchter missbraucht. Und auch von dem Verdacht, dass mehrere Todesfälle der vergangenen Monate auf den Einsatz giftiger Pestizide zurückzuführen sind, erfährt Manz. Dann hat er noch so ein Gefühl: Stimmt etwas nicht mit dem roten Lack des Unfallfahrzeugs? Welcher Spur lohnt es sich nachzugehen? Mit vierundsiebzig denkt Manz an seinen ersten echten Einsatz zurück, bei dem er noch viel zu lernen hatte – und das nicht nur als Polizist …
„Bemerkenswert ist die Virtuosität, mit der Matthias Wittekindt, studierter Architekt, Dramatiker und Verfasser eines guten Dutzends hochgelobter Kriminalromane, die [Erzähl-] Techniken anwendet. Womit noch nichts zu der Art und Weise gesagt ist, wie er seine Dialoge konstruiert. Denn Figuren so reden zu lassen, dass es alltäglich und außergewöhnlich zugleich klingt, zeugt von großem Können. Aber mit narrativer Kunstfertigkeit allein ist es nicht getan. Wittekindt versteht sich auf vielschichtige Plots, weit entfernt von der genreüblichen Frage nach dem ‚Wer-war-es?‘. Zumal diese nicht immer eindeutig zu beantworten ist.“ Joachim Feldmann, CulturMag
3. Platz: Karina Urbach: „Das Haus am Gordon Place“ (Limes)
Wien, 1948: Daphne Parson, eine britische MI6-Agentin, arbeitet in einem Abhörtunnel unterhalb der geteilten Stadt. Um unbemerkt in den sowjetischen Sektor Wiens zu gelangen, schließt sie sich einer Filmcrew an. Eine Mission, die tödliche Konsequenzen hat. London, 2024: Der Historiker Professor Hunt lebt in Daphne Parsons ehemaliger Wohnung am Gordon Place. Als hier ein Mord geschieht, beginnt für Hunt eine verstörende Reise in die Vergangenheit. Ein verwobenes Spiel auf mehreren Zeitebenen, basierend auf wahren Begebenheiten.
„Geschichten über Spione sind wieder gefragt; kein Wunder, angesichts der geopolitischen Verhältnisse. Was neu ist: Kreative Frauen haben die einstige Männerdomäne nicht bloß erobert, sondern komplett neu aufgestellt. Karina Urbach, im Hauptberuf Historikerin, ist mit ihrem Roman Das Haus am Gordon Place ein hervorragendes Beispiel dafür: Eine Story, die mal mehr, mal weniger Bekanntes ganz neu erzählt, dramaturgisch ausgesprochen einfallsreich gedacht und umgesetzt, mit einem so erstaunlichen wie überraschenden Blick für Details, transportiert über ein ganzes Ensemble spannender, vielseitiger Charaktere – und voller Erzählfreude umgesetzt. Exzellent.“ Ulrich Noller, WDR
Kategorie International
1. Platz: Jake Lamar: „Das schwarze Chamäleon“ (Edition Nautilus). Deutsch von Robert Brack
In einer Februarnacht im Jahr 1992 wird Clay Robinette, in Ungnade gefallener Reporter, inzwischen jedoch Dozent für »Creative Non-Fiction«, vom Klingeln seines Telefons geweckt. Der panische Anrufer ist sein Professorenkollege Reggie Brogus, ein berüchtigter ehemaliger Black Panther, der sich nach einem mysteriösen siebenjährigen Exil in einen rechtskonservativen Eiferer verwandelt hat. In Reggies Büro auf dem Campus liegt die Leiche einer weißen Frau, und er ist überzeugt, dass sie vom FBI dort platziert wurde, um ihn endgültig aus dem Weg zu schaffen. Clays alter Reporterinstinkt wird geweckt, er lässt sich in der eisigen Winternacht an die Uni locken. In Reggies Büro trifft ihn fast der Schlag: Er erkennt das Opfer, es ist die Studentin Jennifer Wolfshiem, mit der er bis vor kurzem eine Affäre hatte. Clay weiß, dass er den Mörder entlarven muss, bevor er selbst zum Hauptverdächtigen wird …
„Der Roman ist nicht nur eine Gesellschaftssatire, sondern auch ein beißender Campus-Roman, der insbesondere die Eitelkeiten und Konkurrenzkämpfe des universitären Mittelbaus sowie eine aufgesetzte und Fassade bleibende ‚political correctness‘ der Studentenschaft pointiert und äußerst amüsant aufs Korn nimmt. (…) Das schwarze Chamäleon mag von 2001 sein, der Roman hat jedoch bis heute nichts an Aktualität und Brisanz verloren, greift er doch Themen von race und class so klug wie klarsichtig auf, um bürgerliche Scheinheiligkeit und Saturiertheit mit spitzem Witz zu entlarven.“ Kirsten Reimers, Der Freitag
2. Platz: Lavie Tidhar: „Maror“ (Suhrkamp). Deutsch von Conny Lösch
Israel, 1974–2008. Zwei Polizisten führen uns durch fast vier Jahrzehnte israelischer Geschichte. Cohen, der Strippenzieher im Hintergrund, und Avi Sagi, der den korrumpierenden Versuchungen seines Jobs nicht widerstehen kann. Diese Geschichte ist die dunkle Geschichte Israels. Der Patriot Cohen kennt nur eine Aufgabe – seinen Staat zu beschützen, auch wenn er dafür die bittersten Realitäten akzeptieren muss und gnadenlos danach handelt. Cohen und Sagi haben es mit jüdischen, arabischen und türkischen Gangstern, mit der CIA und dem KGB, mit den Contras und den Kartellen, mit militanten Orthodoxen und anderen Playern mehr zu tun. Cohen versucht, »die Dinge in der Balance zu halten«, und kennt dabei keine Grenzen.
„Tidhars Erzählung folgt ausschließlich der knallharten Logik von Gier, Korruption und Macht. Es geht nicht um Ideologie, sondern um Kontrolle. In Maror ist Israel ein Staat wie jeder andere – ein Staat, in dem Armeeangehörige unantastbar sind, Politiker, Polizisten und das organisierte Verbrechen zusammenarbeiten. In jeder Generation werden die Hoffnungen junger Menschen auf Frieden und Normalität aufs Neue zerstört. Maror übt brachiale und provokative Kritik am israelischen Staatsapparat, ist aber niemals moralisierend, sondern mit viel Tempo und Härte erzählt.“ Sonja Hartl, SWR
3. Platz: Lisa Cody: „Die Schnellimbissdetektivin“ (Ariadne/Argument). Deutsch von Iris Konopik
Hannah Abram war bei der Metropolitan Police – bis sie ihren Sergeant in den Kanal warf. Jetzt ackert sie in Digbys ranziger Imbissbude und hat Wut im Bauch. Die Fälle der Schnellimbissdetektivin sind läppisch: Wo treibt sich mein Kerl rum, wer klaut meine Kartoffeln, wo ist mein Hund, wer kippt mir Müll vor die Tür? Dann hat Hannah plötzlich eine Stalkerin am Hals. Nervig, aber im Grunde harmlos – oder doch nicht?
„Rassismus, Sexismus, das prekäre Leben derjenigen, die nur einen schlecht bezahlten Job ergattern, wenn schon ein paar Krankentage bedeuten können, dass man die Miete nicht mehr zahlen kann – alles steckt irgendwie drin in der Schnellimbissdetektivin. Doch nie belehrend, nie entsteht der Eindruck, Cody habe um der Diversität willen noch diesen oder jenen Charakter eingefügt. Man hat sie vor Augen, diese Menschen, inklusive des stinkstiefeligen Imbissbudenbesitzers. Und man glaubt, sie hören zu können, so meisterhaft sind die Dialoge und schnattert mit Selbstironie die Ich-Erzählerin.“ Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau