Dortmund. Nach drei Stunden „Sweeny Todd“ steigern sich die Besucher der Dortmunder Oper in einen Begeisterungsrausch. Dafür gibt es viele Gründe.
Beifall kann richtig wehtun. Nach knapp drei Stunden steigerten sich im Dortmunder Opernhaus die Zuschauer in einen wahren Begeisterungsrausch, dem irgendwann mit dem endgültigen Fallen des Vorhangs ein abruptes Ende gesetzt werden musste. Bis dahin hatte man immer wieder Anlass, um die Unversehrtheit seiner Trommelfelle fürchten.
Mit dem von Gil Mehmert inszenierten Musical-Thriller „Sweeney Todd – The Demon Barber of Fleet Street“ von Stephen Sondheim hat das Haus einen grandiosen Coup gelandet, der weit über die Region ausstrahlen dürfte.
Die besten Fleischpasteten der Stadt aus den Leichen unliebsamer Mitbürger
London im 19. Jahrhundert: Einst wurde der Barbier Benjamin Barker, glücklich verheiratet und Vater einer kleinen Tochter, Opfer obrigkeitlicher Willkür. Der korrupte Richter Turpin (Andreas Laurenz Maier) war an Barkers wunderschöner Frau Lucy interessiert und räumte den Barbier aus dem Weg, indem er ihn kurzerhand in die australische Verbannung schickte. Als Barker 15 Jahre später unter dem Namen Sweeney Todd (Kammersänger Morgan Moody) an den Schauplatz seiner privaten Tragödie zurückkehrt, erfährt er durch die Pastetenbäckerin Mrs. Lovett (Bettina Mönch) vom Tod seiner Frau.
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Die heranwachsende Tochter Johanna (Harriet Jones) ist inzwischen Mündel seines Erzfeindes Turpin. Lovett hat zufällig sein altes Rasiermesser-Besteck aufbewahrt. „Mein rechter Arm ist wieder ganz“, singt er, quartiert sich über der schlecht gehenden Backstube ein und startet in seinem Barber-Shop einen blutigen Rachefeldzug. Ziel sind Turpin und dessen skrupelloser Gehilfe, Büttel Bamford (Florian Sigmund). Doch zunächst landen über eine Falltür die Leichen anderer unliebsamer Mitbürger unten bei seiner Wirtin, die daraus die besten Fleischpasteten der Stadt macht. Todds Rachewahn, und Lovetts Geschäftssinn, haben fatale Folgen. Als er in der von ihm getöteten, geistig verwirrten Bettlerin (Nina Janke) Lucy erkennt und merkt, dass Lovett ihn über deren Tod belogen hat, ändert sich die Gemengelage.
Anders als bei Tim Burton fließt das Blut hier nicht in Strömen
Sondheims tiefschwarze, unterschiedlichste Stile und musikalische Einflüsse in einer mitreißenden Partitur zusammenführende Komödie, deren Handlung fast ausschließlich in Songs entwickelt wird, hat durchaus jede Menge Splatter-Horror-Potenzial. Doch anders als etwa Tim Burton, der 2007 in seiner Verfilmung mit Johnny Depp bewusst mit den Mitteln des makabren französischen Grand-Guignol-Theaters spielte, fließt hier nicht das Blut in Strömen. Wenn Todds Rasiermesser wieder einmal aufblitzt, dann wird die Szene nur in rotes Licht getaucht. Gil Mehmert deutet das Stück eher als brechtsche Moral-Parabel, die zeigt, welche Folgen permanent erlittene Demütigungen irgendwann haben können. Doch der Regisseur muss diese Brechtnähe gar nicht besonders betonen – sie ist in manchen Liedtexten und Weill-Zitaten ohnehin angelegt.
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Jens Kilian hat für das rasante Treiben ein schauerlich-schönes Bühnenbild in Form eines gigantischen Kohleherds geschaffen, hinter deren Klappen sich Backofen, Fleischwolf, Aschekästen und Ähnliches verbergen, der aber auch zur bedrückenden Irrenanstalt werden kann, in die Turpin Johanna einweisen lässt.
Und oben auf, gleichsam auf der Herdplatte, geht Todd seinem blutigen Geschäft nach. Die Dortmunder Philharmoniker unter Koji Ishizaka meistern die Partitur, die in ihrer musikalischen Vielfalt eine unverwechselbare Atmosphäre schafft, mit Bravour. Vom ersten Bild an führt Mehmert Ensemble und Opernchor immer wieder zu überwältigenden Massenszenen zusammen. Und die Hauptdarsteller, allen voran Bass-Bariton Morgan Moody, sind einfach überragend.
Termine: 18.10. (19.30 Uhr); 27.10. (18 Uhr); 2.11. (19.30); 10.11. (16 Uhr); Karten Tel. 0231-5027222 und www.theaterdo.de