Essen. Ein Stadtteil der Gegensätze: International Music aus Essen besingen auf ihrem neuen Album „Endless Rüttenscheid“. Der Stilmix sprengt Grenzen.

Als hätten sich die Beatles auf einen psychedelischen Fiebertrip ins Ruhrgebiet begeben: „Wir heißen Dich willkommen, Endless Rüttenscheid“ singen International Music ganz entrückt. Zusammen mit dem traumwandlerischen Sound der Akustik-Gitarre macht die Essener Band einen ganz weiten Assoziationsraum auf. Eine Vision zwischen der Euphorie des Nachtlebens und dem Durchhänger am nächsten Morgen. Eine Vision von der entspannten Geschäftigkeit von In-Boutiquen, Cafés, Kneipen, aber auch der Suche nach überteuerten Wohnungen und der Austauschbarkeit gentrifizierter Stadtteile.

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„Ich finde, Rüttenscheid ist ein Stadtteil der Spannung, ein bisschen der Entwurf des guten Lebens – oder das, was die Essener sich darunter vorstellen“, sagt Pedro Goncalves Crescenti, einer der Sänger und der Bassist von International Music. „Es ein Ort, wo viele Leute sich treffen und ausgehen können. Andererseits ist es auch ein Ort der Ausgrenzung. Deswegen und trotzdem verbringen wir doch relativ viel Zeit in diesem Stadtteil.“ Und irgendwie schien diese widersprüchliche Vielfalt auch ganz passend für den Albumtitel „Endless Rüttenscheid“.

Zwischen Hamburger Schule, Krautrock und Boogie-Woogie

Derzeit gibt es keine Indie-Band in Deutschland, die sich gleichzeitig bei mehr Stilrichtungen bedient und sie trotzdem zu einem stimmigen Sound vereint. Man hört Krautrock, Blues, Folk, Country, Reggae, Shoegaze, Post-Punk, Britpop, Hamburger Schule und Boogie-Woogie, begleitet von einem sehr harmonischen, fast chorknabenhaften Gesang. Und während man sich noch fragt, welche Stilrichtung sich daraus ergeben könnte, geben International Music selbst die Antwort: „Wir machen Timeless Melancholic Music“. So singen sie es im ausnahmsweise euphorisch gestimmten „Liebesformular“, denn zwischen die Melancholie haben sich auf dem aktuellen Album auch einige sehr beschwingte Momente gemischt. Und an manchen Stellen scheint es, als hätte man die Vernuschelungstechniken von Stoppok und Helge Schneider imitiert.

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„Wir sind einfach neugierige Menschen. Und je länger wir leben, desto mehr Musik saugen wir in uns auf. Ich glaube, bei diesem Album war weniger der Stil für uns wichtig, sondern der Sound und die Stimmung beim Aufnehmen“, erklärt Pedro Goncalves Crescenti.

InternationalMusic
Halten als Band fest zusammen: International Music. © Lukas Vogt | Lukas Vogt

Das führt auch dazu, dass es selbst in den Songs deutliche Stilwechsel zwischen Strophe und Refrain gibt, etwa beim teils zähen, dann wieder flott voran dampfenden „Kieselwege“.

Egal ob Deutsch oder Englisch, Hauptsache die Stimmung ist getroffen

Für eine Deutsch-singende Band streuen International Music liebend gern englische Sätze in ihren Sound ein, wobei es auch immer auf die Stimmung ankommt. Oder sollte man eher sagen: aufs Feeling? „Es ist eine bewusste Erweiterung der deutschen Sprache. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir den Großteil unserer Popmusikerfahrung aus Nordamerika und Großbritannien haben. Deswegen hat das auch mit Popmusik-Prägung zu tun. Wenn ich auf Englisch sage: ,I‘m going to a party‘, dann löst das etwas anderes in mir aus als: ,Ich gehe auf eine Feier‘.“ 

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Die Stimmung bei den neuen Songs von International Music ist auch eine andere als die bei der Schwester-Band The Düsseldorf Düsterboys, die stärker zur Akustikgitarre greifen. Gibt es manchmal wohl die Überlegung, ob ein Song eher zu International Music oder zu den Düsterboys passt? „Das war schon die Frage bei unserer Reprise von ,Mont St. Michel‘, denn da sind zwei Akustikgitarren zu hören. Wir fragten uns: Ist das zu sehr Düsterboys-Sound. Und die Antwort war: Ja. Deswegen musste noch was dazukommen.“

Und so ergänzten sie den Song, der im Original schon auf dem Debüt „Die besten Jahre“ zu hören war, um die Sounds eines Oberheim-Synthesizers, den ein Freund zufällig hatte – und der ihm etwas Aus-der-Zeit-Gefallenes verleiht. Und sich perfekt in die Zeitlosigkeit einfügt, die sich durch das ganze Album zieht. Man wird es noch gut in 30 Jahren hören können, ohne dass es alt klingt.

International Music: Endless Rüttenscheid (Timeless Melancholic Music/Bertus/The Orchard). Live: 20.10. Dortmund, Junkyard, 22.10. Düsseldorf, Zakk, 23.10. Köln, Gebäude 9, 25.10. Essen, Zeche Carl. www.internationalmusic.band