Essen. Andris Nelsons, Daniil Trifonov und eines der bedeutendsten Orchester Deutschlands. Die Saisoneröffnung in Essen bot Spitzenkultur
Nach dem Konzerthaus Dortmund startete auch die Essener Philharmonie mit einer festlichen Saisoneröffnung und prominenten Namen: dem traditionsreichen Gewandhausorchester Leipzig unter Andris Nelsons sowie dem Starpianisten Daniil Trifonov. Und das an einem denkwürdigen Abend. Um 18 Uhr verfolgten die Musiker noch per Smartphone die Wahlprognosen für Sachsen und Thüringen, eine Stunde später saßen sie konzentriert auf dem Podium des Alfried-Krupp-Saals.
Andris Nelsons und das Gewandhausorchester Leipzig in Essen: glücklich zusammengewachsen
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen war in seinem Grußwort freilich der Ernst des Tages ins Gesicht geschrieben, als er an Rassenhass und den Überfall auf Polen vor exakt 85 Jahren erinnerte: „So etwas darf nie wiederkommen!“ Für ihren flankierenden Appell, den Dialog in der Gesellschaft nicht aufzugeben, erhielt auch Intendantin Marie Babette Nierenz viel Applaus.
Künstlerisch bot der Gewandhauskapellmeister ein weit gefächertes Programm, das nur scheinbar mit einem Knallbonbon begann. Denn das 2020 geschriebene „Shanty – Over the Sea“ von Thomas Adès erwies sich als filigranes Kammermusikstück für Streicher – keine abgehobene Kopfmusik, sondern acht Minuten sinnlichen melodischen Wogens samt Seufzermotiven in feinsten Schwarzweißschattierungen.
Da schien Trifonov als Solist in Mozarts Klavierkonzert KV 503 gewissermaßen anzuknüpfen. Virtuosität auf leisen Sohlen prägte sein Spiel: perlend, sanft leuchtend und warmtönend, eher wie ein Orchesterinstrument eingebunden als prägnant in den Vordergrund tretend, während Nelsons am Pult durchaus mit Fleisch und Blut zur Sache ging. Trifonov dankte dem Publikum mit Außergewöhnlichem: Wann hat man je diese pianistische Zugabe gehört?! Es war der „Vals de Santo Domingo“ von Bullumba Landestoy.
Zum Höhepunkt des Abends indes, zum Seelengemälde zwischen Abgrund und Paradies geriet zweifellos die „Sechste“ von Anton Bruckner. Dass Gewandhausorchester und Dirigent längst zur glücklichen Symbiose zusammengewachsen sind, dokumentiert die Gesamteinspielung der neun Sinfonien. Und auch live durfte man hier staunen über die Monumentalarchitektur, die Nelsons klar und ehrfurchtsvoll, aber ohne Weihrauchschwaden freilegte dank eines Weltklasse-Orchesters von erlesenem Schönklang. Die „Wunderharfe“ aus Leipzig!