Essen. Wer Babette Nierenz finden will, muss an ihrer Schäferhündin vorbei. Bewacher braucht die neue Intendantin der Essener Philharmonie aber nicht.

Unser Weg zur neuen Intendantin ist nicht steinig, aber recht gut bewacht. Quer über den Gang streckt sich vierbeinig ein nahbarer Zerberus: die sehr wache Schäferhünding mit Namen Gala. „Spanierin“, sagt Babette Nierenz. Das Tier kommt mit zum Antrittsinterview. Babette Nierenz, 48, ist die neue Intendantin der Essener Philharmonie. Lars von der Gönna traf sie zum Gespräch übers Können und Wagen, über Willenskraft und Glauben – und das heikle Thema Krupp.

Es ist ein offenes Geheimnis: Sie mussten sich für die Intendanz nicht nach der Decke strecken; man wollte Sie unbedingt. Was können Sie für den Job besonders gut?

Babette Nierenz: Ich glaube, ich kann gut einschätzen, wie wir ein erfolgreiches Konzerthaus in dieser Stadt aufstellen müssen. Die Säulen dafür heißen künstlerische Exzellenz, programmatische Vielfalt und bürgerliche Teilhabe.

Sie sind bereits von der Gründung an fest an einem der schönsten Konzertsäle in Nordrhein-Westfalen. Was sind die aktuellen Baustellen?

Die größte Herausforderung bleibt in einer sich stark wandelnden Gesellschaft, das bestehende Publikum zu halten und ein neues zu faszinieren. Das geht nur über das Programm. Programm heißt auch Persönlichkeiten: Mehr denn je müssen in der Klassik Interpreten auch Kommunikatoren sein, wie wir es in Essen etwa bei Daniel Hope erleben. Das muss über populäre Formate hinausgehen. Ich halte es klar für unsere Aufgabe, die musikalischen Schätze aller Epochen spannend zu definieren und die Menschen dafür zu begeistern.

Vor 50 Jahren hätte jede Reinemachefrau das Torero-Lied aus „Carmen“ erkannt. Heute können wir das nicht mal mehr bei jedem Grundschullehrer voraussetzen...

Der Vermittlungsbedarf ist so groß wie nie. Wo soll die Berührung mit Musik beginnen, wenn kein Musikunterricht in den Schulen mehr stattfindet?! Wir sind da extrem unterwegs. Inzwischen beginnen wir schon im Kindergarten mit Vermittlungsprojekten. Manche, Eltern inklusive, sehen da zum ersten Mal eine Trompete. Wir müssen Brücken schlagen.

Wechseln wir aufs Konzertpodium. Sie haben wöchentlich Weltstars zu Gast, ausgeprägte Persönlichkeiten, durchaus dünnhäutig. Was muss man tun, damit es läuft?

Es geht ums Wohlfühlen des Künstlers. Ich hab ein fantastisches Team, das persönlich auf die Musiker eingeht. Wir sind stolz, dass bei uns so schnell niemand absagt sondern eher kommt mit der Botschaft: „Das tu ich jetzt für Euch!“

Und wenn einer doch Schwierigkeiten macht? Es gibt ja Diven in dieser Branche. Hat Babette Nierenz für diesen Zweck ein Rotes Telefon?

Im übertragenen Sinne. Reibungen gibt es ganz natürlicherweise; an einem großen Konzertereignis wirken viele Kräfte. Dann muss man sich eben finden. Sensibles Feingefühl haben wir reichlich im Team.

Apropos Team: Das nennt Sie nach unseren Recherchen „willensstark“ und „sehr energetisch“. Halten Sie diese Zuschreibung aus?

Auf jeden Fall (lacht). Ich glaube, man muss mit einer gewissen Energie und Zielen vorangehen. Beides strahlt ja auch aus, nimmt andere mit. Wenn ich in diesem Haus kein Ziel vor Augen hätte, wo würden wir dann hingehen? Aber Ich gehe nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern bin offen für Stimmen aus meinem Team.

Sie haben jetzt den Rang einer Top-Managerin in der Kulturszene. Warum sind Frauen so selten in dieser Liga?

Sie haben ja gerade das Energetische, Willensstarke angesprochen. Ich glaube, das ist qua Genetik den Männern häufiger in die Wiege gelegt. Und auch die Familienorganisation obliegt heute noch meistens den Frauen. Meinen Intendantenkollegen habe ich mal gesagt: „Die Frau, die Euch den Rücken freihält, die bin ich selber!“ Außerdem ist nicht jede von uns eine Jägerin oder Kämpferin, was man in dieser Position auch sein muss – obwohl man heute weiß, dass auch die Wikinger kämpfende Frauen kannten. Ich mag die gesunde Mischung gemischter Teams, ich bin keine Feministin.

Etwas Persönliches: Sie sind ein bekennend religiöser Mensch.

Religion und Glauben sind für mich sehr wichtig. Sie verankern mich fest im Leben, wie meine Familie. Der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge. Mut kommt von Demut, sagt man. Dem stimme ich zu. Ich bin ein Teil des Ganzen, als solcher gebe ich mein Bestes. Aber was am Ende gelingt, liegt nicht allein in meiner Macht.

Hat ein überragendes Konzert für Sie eine spirituelle Dimension?

Absolut. Große Musik hebt uns empor. Der Himmel ist weit offen an solchen Abenden. Die Menschen strahlen etwas anderes aus, wenn sie diesen Saal verlassen. Als wir nach Corona den ersten großen Abend mit dem Bayreuther-Festspiel-Orchester hatten, war das wie eine Auferstehung.

Zum Schluss ein heißes Eisen: Die Tinte in Ihrem Vertrag war gerade trocken, da kochte das Thema Alfried Krupp hoch. Die Krupp-Stiftung sieht seine Rolle in der Nazi-Zeit kritischer denn je. Ihr Haus hat den großen Saal nach ihm getauft, ihm Foyer steht eine imposante Büste Alfrieds...

Besonnenheit ist gefragt. Wir warten das Ende der Studien ab. Wir werden eine Haltung dazu haben. Ich bin sicher, es gibt eine wohlüberlegte, belastbare Lösung.

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ZUR PERSON:
Die Düsseldorferin Marie Babette Nierenz studierte in Leipzig Klavier und Musik- und Kommunikationswissenschaft sowie Betriebswirtschaft. Seit ihrer Gründung 2003 gehört Nierenz zum Team der Philharmonie Essen. Stationen zuvor waren u.a das Rheingau Musik-Festival und die Opern von Paris und Leipzig. Nierenz ist verheiratet und hat drei Kinder (9,10,13). Ihr Mann Colin ist Polizeidirektor in Düsseldorf. Beide teilen neben der Spiritualität eine Schwäche für Songs von Udo Jürgens.