Dortmund. Dreißig Frauen wurden im Mittelalter in Dortmund als Hexen verurteilt und teils verbrannt. Ein Schauspiel macht ihre Prozesse erfahrbar.
Schritte auf feuchtem Asphalt erklingen über die Kopfhörer, der Hansaplatz in Nebel getaucht. Rund 50 Personen blicken auf den Brunnen mitten auf dem Marktplatz. Dort steht eine Frau im Glitzer-Body, umhüllt von einem roten Gewand. Sie lehnt an einer Wand, bunte Lichter umspielen ihren Körper. Im Hintergrund Wassergeplätscher. Dann ertönen die Worte „Die Hexe schwimmt“, ihr Todesurteil.
Audiowalk auf dem Hansaplatz bietet alternative Form des Gedenkens
In der Audiowalk-Performance „Transitory Monument“, also einem kombinierten Schau- und Hörspiel, geht es um die Geschichte von Frauen, die im Mittelalter als Hexen verfolgt wurden – auch in Dortmund. Die Bühne des Schauspiels ist der Hansaplatz. Autorin, Performerin und Regisseurin Nicola Schubert schlüpft in die Rolle einer Frau, der vorgeworfen wird, eine Hexe zu sein. Mit Kopfhörern ausgestattet, begleitet das Publikum die Performerin über den Marktplatz bis zur Reinoldikirche.
Dortmund, 1595: Mümmel Elsken wird beschuldigt, eine Hexe zu sein, verantwortlich für den Tod eines Knechts. Mit ihrem Blick soll sie eine Kuh entmilcht und den Tod von Kindern herbeigeführt haben. An den Gelenken gefesselt, wird sie ins Wasser geworfen. Die sogenannte Wasserprobe soll prüfen, ob sie eine Hexe ist – und das dreimal. Stellvertretend dafür lässt die Schauspielerin drei Lichter in den Brunnen sinken. „Die Wasserprobe hat gezeigt, dass du eine Hexe und mit dem Teufel im Bunde bist.“ Verfolgt von den Stadtknechten flieht Mümmel in den Kirchhörder Wald, um der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen zu entkommen.
Damit beginnt die Erzählung. Die Performerin führt das Publikum über den Hansaplatz, an einem Kräutergarten vorbei – die zur Heilung, Schmerzlinderung und Abtreibung genutzt wurden – übergibt Thymian an das Publikum. Endgültig sind die Zuschauerinnen Teil der Performance, die Grenze zwischen ihnen und der Darstellerin durchbrochen, abgeschottet von dem, was drumherum auf dem Marktplatz passiert. „Die Hexen soll man töten.“
Nächste Station: Kerker oder der Eingang des Parkhauses. „Hast du mit dem Teufel geschlafen?“, wird das sogenannte „Peinliche Verhör“ nachgesprochen. „Wie war sein Penis?“ Elskens Lachen schlägt in Weinen um. Der Scheiterhaufen wird vorbereitet.
Künstlerische Performance in Dortmund als temporäres Denkmal
An Restaurants und Bars vorbei geht es zur Reinoldikirche, dem Schlusspunkt der Performance. Dort war das Richthaus, an dem die Urteile verlesen wurden. Glockenläuten bedeutete Todesurteil. Andächtig blickt die Künstlerin auf die Stätte. Ihren roten Stoff hat sie abgelegt und stattdessen einen dunklen Mantel übergeworfen. Der fiktionale Teil der Performance ist vorbei.
Die Performance gilt dem Gedenken im öffentlichen Raum – flüchtig, nicht materiell verewigt. Die Idee stammt von der Dortmunder Geschichtswerkstatt, die sich über 20 Jahre für ein „Hexendenkmal“ an der Reinoldikirche eingesetzt hat – gegen die Unterdrückung von Frauen, die mit den Verbrennungen auf dem Scheiterhaufen begonnen habe. Vor zehn Jahren scheiterten die Bestrebungen. Und nun doch die Wendung: Susanne Meyer von der Geschichtswerkstatt verkündet: Ein Mahnmal soll kommen, benannt nach Anna Kösters, die als erste Frau in Dortmund verbrannt wurde.
Mümmel Elsken ist eine von 30 Frauen in Dortmund und Hunderttausenden in Europa, die während des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Hexen verurteilt, verfolgt, gefoltert, vertrieben oder getötet wurden. Über die Kopfhörer wird das Schauspiel untermalt mit historischen und aktuellen Bezügen – geschlechterbezogene Diskriminierung, Femizide, Diskurse über Schwangerschaftsabbrüche und Care-Arbeit. Das Projekt gibt es seit 2022, gefördert von der Dortmunder Tanz- und Theaterszene und dem NRW Landesbüro für Freie Darstellende Künste.
Weitere Termine sind am 30. und 31. August um jeweils 19 Uhr. Tickets gibt es online auf rausgegangen.de und vor Ort.