Gelsenkirchen. 2018 war Schicht im Schacht für den Deutschen Steinkohlenbergbau, doch die Erinnerung an diese Ära bleibt. Zum Beispiel in Gelsenkirchen.
Es ist wohl der originellste Zugang zu einem stillen Örtchen im Ruhrgebiet. Wer die enge Treppe hinabgestiegen ist, fühlt sich plötzlich wie auf der siebten Sohle im Pütt. Genauer gesagt, sie oder er wähnt sich in einem Stollen tief unten, ausgebaut mit uralten Holzstämmen. Der Weg führt durch Stempel und Stützen, vorbei an allerlei bergmännischem Gerät, bis zum angestrebten Ziel. Karlheinz Rabas freut sich jedes Mal über die aufgeregten Mienen der Toilettenbesucher, von denen viele eine Grubenfahrt nur vom Hörensagen kennen. Oder gar nicht.
Hier, in einem ehemaligen Ladenlokal im Gelsenkirchener Süden, lebt die Erinnerung an die Höhen und Tiefen des Bergbaus. Nicht nur als nostalgischer Trip, sondern mit einem reichen Fundus an Literatur, Plänen, Fotos und Dokumenten, die auch zu Forschungszwecken genutzt werden. Gründer und Leiter der Bergbausammlung Rotthausen ist Karlheinz Rabas. Er begann sein Berufsleben als Maschinensteiger auf Zollverein, beschäftigte sich später als Diplom-Ingenieur und Betriebswirt bei der Steag dann vorwiegend mit Fernwärmekraftwerken. Was ihn aber nicht von seiner Leidenschaft für den Bergbau abhielt. Schulklassen, kleinere Gruppen und einzelne Interessierte gehen in der Bergbausammlung gern im kleinen Rahmen auf Spurensuche. Für sie ist der Hobby-Historiker ein geduldiger Gesprächspartner.
Rotthausen gehörte zum Rheinland
„Die lokale Erkundungsarbeit hat mich schon immer fasziniert“, sagt Rabas, der 1975 samt Familie nach Rotthausen gezogen war und sich seither in Heimatbund, Bürgerverein und Stadtteilarchiv gesellschaftlich engagierte. Wobei der Ortsteil bis 1923 zum Landkreis Essen und somit zum Rheinland gehörte. Aus Gelsenkirchener Sicht, schrieb die WAZ einmal, sei das „weitgehend unerforschtes, fremdes Terrain“ gewesen. Wie geschaffen also für den Forschungsdrang von Rabas, den seit seiner Zeit auf Zollverein die Faszination für den Bergbau nicht mehr losgelassen hatte.
Zurück zur Bergbausammlung, die zwischen den touristischen Schwergewichten Ruhr Museum auf Zollverein in Essen und dem Deutschen Bergbaumuseum in Bochum liegt – und durch Authentizität und Charme ihren Stellenwert behauptet. In Rotthausen wird die Liebe zum Detail in jedem Moment spürbar. Leben und Tagesablauf des Kumpels bilden einen Schwerpunkt des Ausstellungsteils. So steht der Gast gleich zu Beginn in einer typischen Bergmannsküche von anno tobak. Dem dominierenden Herd mit verschiedenen Fächern samt Ofenrohr und Kohlenkiste fehlt eigentlich nur das Feuer. Auf dem rustikalen Küchenschrank fällt der Blick auf die Dose mit dem Kaffee-Ersatz von Lindes. Blechtassen auf dem Tisch. Für ältere Menschen, die im Revier aufgewachsen sind, ein vertrauter Anblick. Kühlschrank und Einbauküche gab es damals noch nicht. Gespült wurde in einer Schüssel.
Weiter geht es in die Kaue und die Lampenstube, in der die Entwicklung der Grubenlampen aufgezeigt wird. Seit dem tragischen Unglück 1908 auf Radbod in Hamm, bei dem wohl durch eine defekte Lampe eine Schlagwetterexplosion ausgelöst wurde und 350 Bergleute starben, wurden nur noch elektrische Lampen verwendet. Zu Beginn mehrere Kilo schwer, wurden die Lampen im Laufe der Jahrzehnte immer handlicher. Das berühmte Arschleder, vorgezeigt an lebensgroßen Puppen, gehört natürlich auch zur bergmännischen Arbeitskleidung und soll die Männer beim Kauern und Rutschen direkt vor Ort vor Nässe und Verletzungen schützen. „Und sie tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht“ wird ja im Steigerlied gesungen. Ebenfalls zu bewundern ist eine Version der legendären Dahlbusch-Bombe. Sie wurde im Mai 1955 auf der nahe gelegenen Zeche Dahlbusch in Rotthausen in aller Eile entwickelt, um drei verschüttete Bergmänner zu retten. Seit dem Grubenunglück in Lengede 1963, wo mit ihrer Hilfe elf schon fast totgeglaubte Bergleute geborgen wurde, ist sie weltbekannt. Und die umfangreiche Mineraliensammlung hat schon Fachleute von weither angezogen.
Für Schulklassen weniger spektakulär, für Studierende, Wissenschaftler und Bergbau-Interessierte aber ein wahres Füllhorn ist der Archivteil der Bergbaubausammlung: Bücher, Zeitungen, Richtlinien, Fotos, Akten und Pläne zu einzelnen Pütts sind hier zu finden. „Nach der Schließung der Zeche Hugo im Jahr 2000 schleppten die Leute alles mögliche an“, erinnert sich der Hobby-Historiker Karlheinz Rabas. Viele der geschätzt 120.000 Fotos sind zum Teil noch gar nicht katalogisiert und in die Datenbank aufgenommen. 3000 Bücher und 10.000 Pläne beinhaltet die Sammlung zudem. „Wer soll das noch bearbeiten?“, fragt sich Rabas, der in diesem Jahr 87 Jahre alt wird. Auch die Finanzierung sei kein Selbstläufer. Zwar trägt die Gesellschaft für Wohnungsbau Gelsenkirchen die Miete die Räume, die Betriebskosten muss die Bergbausammlung aber selbst berappen. Einige Fördertöpfe geben nichts mehr her. Es kommt deshalb vor, dass Karlheinz Rabas in die eigene Tasche greifen muss, um den nachfolgenden Generationen den Blick in die Bergbau-Geschichte zu ermöglichen. Ein wahrer Idealist.
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