Essen. „Ich sehe mich als Brückenbauer“, sagt der große Deutsch-Türkisch-Integrator. Und nennt sein Album wie seinen Sohn: „Elijah“.
Eko Fresh, mit bürgerlichem Namen Ekrem Bora, ist trotz seiner vergleichsweise zarten vierzig Jahre ein echtes Urgestein des deutschen Hip-Hops. Der Junge, aufgewachsen im Kölner Arbeiterstadtteil Kalk, rappt, seit er fünfzehn ist. 2003 trat der Kollege Kool Savas als Mentor und Förderer auf den Plan, es folgte die Hit-Single „König von Deutschland“. Später gründete Eko sein eigenes Label „German Dream“ und expandierte in benachbarte künstlerische Felder, trat häufig in diversen Stefan-Raab-Shows auf und ist auch als Schauspieler („Pumuckl“) erfolgreich. Jetzt veröffentlicht Eko Fresh ein neues Album. Es heißt wie sein Sohn, nämlich „Elijah“, ist musikalisch munter vielseitig und setzt dem Murren in der Migrationsdebatte eine positive Utopie von gelingender Integration und gesellschaftlichem Zusammenhalt entgegen.
Eko Fresh, Du bist Rapper, Schauspieler und nicht zuletzt auch ein großer Fußballfan. Wie hat dir die EM gefallen?
Eko Fresh: Sehr, sehr gut. Ganz besonders die deutsche Mannschaft hat mich wirklich beeindruckt. Spielerisch war das echt erfrischend, und ich fand es toll, wie divers dieses Team ist – und wie selbstverständlich das für alle war. Die Mannschaft ist ein Spiegel der Gesellschaft, das hat man bei diesem Turnier wirklich sehen und erleben können. Ilkay Gündoğan etwa hat nicht nur ein Topturnier gespielt, sondern auch die enge Verbindung zwischen Deutschland und der Türkei sichtbar gemacht.
Ist Ilkay Gündoğan für den Fußball, was Eko Fresh für die Musik ist?
Ich identifiziere mich mit Ilkay. Er personifiziert das, was ich auch bin: Ein Mensch mit türkischen Wurzeln, der hier aufgewachsen und jetzt Bestandteil des Lebens hier ist. Durch jemanden wie Ilkay oder vielleicht auch mich fühlen sich viele andere Deutschtürken gesehen – und das tut gut.
Kennt Ihr Euch?
Wir sind uns mal begegnet. Er ist ein feiner Mensch. Die ganze Mannschaft ist cool drauf gewesen – ein Querschnitt von uns Deutschen, wer wir sind und wie wir hier leben. Es war so eine geile Selbstverständlichkeit spürbar, so ein echtes Gemeinschaftsgefühl.
Einer Deiner großen Hits heißt „König von Deutschland“. In Deinem Song „Aber“ hast Du 2018 versucht, zwischen AfD-Wählern und Deutschtürken zu vermitteln, zuletzt warst Du in der Musikshow „Sing meinen Song“ zu sehen. Du bist ein Deutsch-Türkisch-Integrator, oder?
Definitiv! Ich bin ein Repräsentant. Ein Botschafter der Sichtbarkeit. Ich mache bewusst viel Fernsehen. Wenn ich in eine Quizshow gehe und ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund mich dort sieht, dann findet er das ganz normal und denkt, er kann da auch hin.
Dein Musiklabel heißt „German Dream“. Das ist angelehnt an den American Dream, das große Aufstiegsversprechen. Lebst Du den deutschen Traum?
Ja. Das, was ich gemacht und erreicht habe, das hätte ich nirgendwo anders schaffen können als in Deutschland. Ich habe mir hier meine Träume erfüllen können. Ich bin in Deutschland geboren und habe überhaupt kein Interesse daran, aus diesem Land wegzugehen. Deutschland ist doch ein großartiges Land! Wir leben in Sicherheit, wir haben einen hohen Standard, wir müssen uns doch international wirklich nicht verstecken. Ehrlich, ich finde, Deutschland ist ein Superland. Und der Name meines Labels ist auch hierzulande ein politischer Begriff geworden. Der Bundeskanzler und Christian Lindner haben den „German Dream“ schon in den Mund genommen, es ist ein geflügeltes Wort für die Aufstiegschancen von Migrantinnen und Migranten geworden. Das ist doch krass. Der Name eines kleinen Kölner Labels gehört nun zum Sprachgebrauch.
Wie groß ist die Rolle von Musik, speziell von Rap, für Integration und Aufstieg?
Als ich anfing zu rappen, haben diejenigen Musiker die Platten rausgebracht, die sich das leisten konnten, die genug Geld hatten für ein Studio, Mikros und so weiter. Die Migranten traten eher in den Jugendzentren auf. Das hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Rap ist ein Katalysator geworden, er kann deine Stimme, deinen Charakter, deine Haltung verstärken. Heute gibt es sozialbewussten Rap, Gangsta-Rap, Rap über Liebe, neuerdings auch sehr viel Rap zu Technobeats übers Spaßhaben und Partymachen. Der Rap ist frei wie das Leben an sich. Aber was heute gilt, galt auch schon früher: Rap kann dich beflügeln. Ich hätte eine Karriere ohne den Rap nicht haben können. Als ich in meiner Jugend noch meinen Platz in der Welt suchte, hat der Rap mir geholfen, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Durch die Rap-Musik habe ich meine ersten Bestätigungsmomente bekommen.
Du arbeitest mit verschiedenen öffentlichen Stellen und Ministerien zusammen. Wäre eine Aufgabe in der Politik für Dich reizvoll?
Fresh: Hör mal, irgendwann vielleicht! (lacht) Aber höchstens in dem Dorf, in dem ich lebe. Wir haben im Moment so viel zu tun, die „Pumuckl“-Reihe, in der ich einen Postboten spiele, geht weiter. Und meine Frau, Sarah Bora, singt auch, sie arbeitet aktuell an einem Schlageralbum. Außerdem möchten wir so viel Zeit wie möglich mit unserem Sohn Elijah verbringen.
Wie alt ist Elijah jetzt?
Er ist gerade acht geworden.
Dein Album heißt ebenfalls „Elijah“, im Titelstück appellierst Du an ihn, über den Tellerrand hinauszuschauen, der Song insgesamt ist musikalisch wie textlich sehr warmherzig.
„Elijah“ ist für mich einer der schönsten Songs, die ich bislang in meinem Leben gemacht habe. Ich singe in dem Lied ja auch, und ich halte mich nicht an irgendwelche Rapper-Raster, die es früher mal gab. Ich habe auf diesem Album versucht, einfach schöne Musik zu machen. Der Song ist dafür das perfekte Beispiel. Er steht absolut für das Leben, das ich heute lebe.
Überhaupt ist der Ton auf dem Album ein sehr positiver, zuversichtlicher. Kam das bewusst oder unbewusst?
Das war tatsächlich eine bewusste Entscheidung. Ich rappe oft über soziale Missstände und habe so manchen kritischen Song über die Gesellschaft veröffentlicht. Doch nun habe ich mich entschieden, das Augenmerk darauf zu legen, was gut läuft. Ich finde, 2024 ist das richtige Jahr dafür. Über den ganzen Mist haben wir genug geredet. Jetzt geht es darum, die Menschen zusammenzubringen. Ich sehe mich hier als Brückenbauer – zwischen Hip-Hop und Mainstream, aber auch zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Ich hoffe, dass mein Sohn nicht mehr diesen Teller mit Identifikationssuppe vor sich stehen haben wird. Dass er sich keine Fragen wie „Wo gehöre ich hin?“ mehr stellen muss. Ich wünsche mir, dass er als Deutscher mit türkischen Wurzeln völlig selbstverständlich und gleichberechtigt in diesem Land leben wird.
Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein.
Warten wir es mal ab. Mir ist schon klar, dass es auch Probleme gibt, aber ich will positive Impulse setzen. Ich möchte ein Kommunikator, ein Sprachrohr ein Vermittler zwischen den Leuten sein. Deshalb denke ich, dass ein Song wie „Bunte Brücke“ sehr gut zum Zeitgeist und zu meinen Gefühlen passt.
„Bunte Brücke“ ist ein Duett mit der Kölner Rockband Brings. Originale wie Du selbst?
Total. Die Jungs kennen mich, seit ich ein kleines Kind war. Der Bassist Stephan Brings hat noch mit meinem Vater Musik gemacht.
Dein Vater ist der türkische Musiker Nedim Hazar, der 1980 als politischer Flüchtling nach Deutschland kam, wo er mit Deiner Mutter, die kurdische Wurzeln hat, zusammenkam.
Genauso ist es. Brings ist ein großes Sprachrohr in Köln. Mit denen auf einer Bühne zu stehen, das macht mich wirklich glücklich und dankbar.
Konkret geht es um die Mülheimer Brücke, die Du als das „Herz unserer Stadt“ bezeichnest.
Dieser Ort hat mich geprägt. Er steht sinnbildlich für die Verbindung zwischen dem eher migrantisch geprägten Mülheim und den im Schnitt wohlhabenderen, linksrheinischen Vierteln. Ich selbst komme aus Köln-Kalk, das liegt aber direkt neben Mülheim.
Lebst Du nach wie vor in Kalk?
Ich wohne mittlerweile in Kerpen (lacht). Das ist auch eine schöne Stadt, aber ich identifiziere mich nach wie vor als Kölner.
Kerpen liegt westlich von Köln und gilt als eher bürgerlich-spießig. Was hat Dich dorthin verschlagen?
Als der Kleine unterwegs war, wollten wir es ein bisschen ländlicher und ruhiger haben. Ich hatte genug Rock’n’Roll in meinem Leben. Wir wollten ein Nest bauen, und dann haben wir ganz klassisch was im Internet gefunden.
Viel los ist dort aber nicht.
Nein, das muss es auch nicht. Ich habe die Ruhe gesucht und hier auch gefunden. Vor allem: Unser Sohn wächst geborgen und behütet auf, er kann wunderbar draußen spielen, für Familien ist dieser Ort ideal.
Was sagt Elijah denn dazu, dass Du Dein Album nach ihm benannt hast?
Letztens war ich mit Brings im „Fernsehgarten“, wir haben „Bunte Brücke“ gespielt, und Andrea Kiewel, die Moderatorin, meinte dann: Der Song stammt vom Album „Elijah“. Das haben wir später zusammen angeschaut, und Elijah dann so: „Woher weiß die Frau meinen Namen?“ Ich sagte es ihm, und da war er ein bisschen gerührt und meinte: „Cool, dann kennt mich ja jetzt jeder!“ Wir halten ihn persönlich aus der Öffentlichkeit raus und zeigen ihn nicht, aber den Albumtitel habe ich gewählt, weil er sehr stark für diesen Abschnitt meines Lebens steht.
Sehr ungewöhnlich klingt „Wildnis“. Das ist praktisch eine Gitarrenrocknummer, Du singst durchgängig.
Seit „Sing meinen Song“ habe ich noch mehr Mut, mich stilistisch nicht mehr zu begrenzen. Ich hatte Lust auf so einen Alter-Haudegen-Song wie „Wildnis“. Es geht darin um die wilde alte Zeit, die ich nie vergessen habe, auch wenn sie lange her ist. Ich habe in jungen Jahren natürlich auch Mist gebaut, manchmal ein bisschen viel gefeiert, aber bevor wir zu weit gegangen sind, haben wir immer noch die Kurve gekriegt und konnten umdrehen. Ich denke, in Geschichten wie dieser können sich viele wiederfinden, die in ihrer Jugend heftig drauf waren und dann irgendwann ruhiger geworden und angekommen sind.
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Du erzählst auf „Elijah“, aber auch auf früheren Platten keine Fantasie- oder Heldengeschichten, sondern setzt Dich mit Deinem wirklichen Leben auseinander.
Ja, ich baue mein Leben schon immer in meine Musik ein. Wenn mich etwas beschäftigt, mache ich einen Song darüber. Wenn ich etwas verbockt habe, verarbeite ich das in meiner Kunst. Wenn mir etwas Gutes gelungen ist oder ich über mich hinausgewachsen bin, ebenfalls.
Bei „Sing meinen Song“ haben Dich die anderen den „Tränenmacher“ genannt, weil sie bei der Interpretation Deiner Lieder bisweilen weinen mussten. Eva Briegel von Juli und Tim Bendzko singen nun auf Deinem Album mit. Sind dort in Südafrika viele neue Freundschaften entstanden?
Ja. Auch mit Sammy Amara von den Broilers verstehe ich mich toll, wir sind neulich zusammen bei „Rock am Ring“ aufgetreten. Und ich finde, die Songs mit Eva und Tim, „Kerzenlicht“ und „1000 Träume“ sind sehr schön geworden. Beides sind Liebeslieder, und vor allem „Kerzenlicht“ ist sehr persönlich. Darin sage ich, dass ich sehr dankbar für meinen Job und den Erfolg bin, aber dass ich abends im Hotel oft denke, ich wäre jetzt eigentlich lieber zu Hause.
Du machst seit 25 Jahren Musik, bist mittlerweile vierzig, aber wirklich ansehen tut man Dir das Alter nicht. Was ist Dein Geheimnis?
Mein Geheimnis ist die schwarze Farbe, mit der mein Friseur immer ein bisschen über die grauen Seiten geht (lacht).