Essen. Ben Van Cauwenbergh prägte das Aalto Ballett 16 Jahre mit seinem sehr eigenen Stil. Jetzt sagt er mit vier Tanz-Galas auf Wiedersehen.
Der Vorhang geht auf, die Essener Philharmoniker – zentral auf der Bühne platziert – spielen „My Way“. Klassischer Orchesterklang mit einer dezenten Jazz-Attitüde in den Bläsern. Damit ist der Ton gesetzt und das Motto klar: Bei „Bye-bye Ben“ gibt zum Abschied einen Rückblick auf das Schaffen von Ben Van Cauwenbergh, der das Aalto Ballett 16 Jahre lang mit seinem sehr eigenen Stil geprägt hat; wie kein anderer wusste er elegante Neoklassik federleicht und augenzwinkernd mit modern Dance- und Show-Elementen zu verknüpfen.
Apropos Abschied: Wer bislang glaubte, die ganz großen Emotionen (Stichwort: Jürgen Klopp, FC Liverpool) gäbe es nur beim Fußball, hat lediglich noch nicht erlebt, wie Ben Van Cauwenbergh zu diesem Anlass sein Team gewürdigt hat. Und anschließend mit seiner 95-jährigen Mutter (Anna Brabant, gesegnet mit einer alterslosen Grandezza, wie sie nur Tänzern eigen ist) zu Jacques Brels „La Valse à mille temps“ einen langsamen Walzer auf die Bühne brachte. Gesanglich begleitet von keinem geringeren als Dominique Horwitz. Und das ist erst der Anfang!
2008 eroberte Ben Van Cauwenbergh die Herzen des Ballettpublikums in Essen
Weiter geht es mit Höhepunkten aus „La vie en rose“, der bereits in seiner vorherigen Wirkungsstätte in Wiesbaden bewährten Produktion, mit der Van Cauwenbergh seinerzeit (wir schrieben das Jahr 2008) die Herzen des Ballettpublikums in Essen im Sturm erobert hatte. Bittersüß und voller Wehmut, nicht allein dem melancholischen Grundton von Brels Chansons und Horowitz’ rauchigem Timbre geschuldet.
Auch der sahnige Caféhausorchesterklang, den die Philharmoniker hier unter dem Dirigat von Wolfram-Maria Märtig zum Besten geben, rührt ans Gemüt. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass die Lieblinge aus vergangenen Aufführungen schon längst einer neuen Generation von Tänzern gewichen sind.
Zugleich stimmt es froh zu sehen, wie es den Tänzer und Tänzerinnen in feiner Balance zwischen vollkommener Synchronizität und individuellem Ausdruck gelingt, Brels Texte lebendig werden zu lassen. Der Anblick von soviel jungem Talent weckt Vorfreude auf künftige Produktionen von Armen Hakobyan und Marek Tůma, Van Cauwenberghs Nachfolgern, die sich unter seiner Ägide bereits am Aalto etablieren konnten.
Großes Pathos beim Abschied von Essens Ballettchef Ben Van Cauwenbergh
Nach der Pause ein Wiedersehen mit Joji Hirota and The Taiko Drummers und der vibrierenden Mischung aus Ritual- und Spitzentanz, die bereits in „Last“, der jüngsten Aalto Ballettpremiere, begeistert hat. Dicht gefolgt vom nächsten Highlight, einer von Marie Van Cauwenbergh und Benjamin Balazs rasant zusammengeschnittenen Filmcollage, die neben Reminiszenzen an Produktionen aus 16 Jahren auch Blicke hinter die Bühne sowie Persönliches preisgibt und so eine lange Folge von wohligen „Hach“- und „Ach ja“-Momenten auslöst.
Den emotionalen Siedepunkt schließlich erreicht der Abend mit Ausschnitten aus „Hommage an Queen“: Die Philharmoniker rocken - verstärkt von einer Live Band mit E-Bass und -Gitarre (Gesang: Sascha Krebs) nun das Haus. Dmitrij Simkin (Bühnenbild) hat lediglich Teile der ursprünglichen Kulisse als Zitat verwendet; die Sparsamkeit der Requisite lenkt den Blick um so mehr auf die nicht nur tänzerisch sondern auch mimisch überaus ausdruckstarke Compagnie (stellvertretend für ihre nicht minder überzeugenden Kollegen und Kolleginnen seien hier Yuki Kishimoto und Wataru Shimizu genannt).
Großes Pathos beim finalen „The Show must go on“ (und erst recht bei der überraschenden Zugabe), Jubel und Ergriffenheit erreichen endgültig EM-Endspiel-Niveau. Ein würdiger Abschied. Die Glücklichen, die sich für die mittlerweile komplett ausverkauften Folge-Abschiede Karten sichern konnten, mögen vorsorglich ein Taschentuch einstecken.