Berlin. Kolumnist und Laufexperte Hajo Schumacher hat sich mit Michael Meisheit unter die Krimi-Autoren begeben, es geht um Mord in der Läuferszene.

Wer kennt eigentlich noch Achim Achilles? Diese Frage ist jetzt kein Fahndungsaufruf, sondern lässt sich leicht beantworten: Viele, die sich so vor zwölf bis fünfzehn Jahren fürs Laufen interessiert haben, denn damals firmierte unter „Achilles‘ Verse“ eine beliebte Läufer-Kolumne bei Spiegel Online. Achim Achilles war nicht nur ein oft überehrgeiziger Laufsportler, der einem neben vielen nützlichen Tipps zum Training auch an seinen Schmerzen, seinen Verletzungen, seinen Niederlagen teilhaben ließ, er war auch niemals um eine knackige Läuferweisheit verlegen: „Einatmen wird überschätzt.“, „Hardcore-Renner turnen nicht.“, „Schmerz ist, wenn Schwäche den Körper verlässt.“, solche Sätze eben – und das in rauen Mengen. Was mal vor allem vom rennenden Achim lernen konnte: Laufen ist Kampf.

Hajo Schumacher schöpft aus der Erfahrung als Läufer

Journalist Hajo Schumacher bei der Aufzeichnung der WDR-Talkshow Kölner Treff im WDR Studio Bocklemünd. Köln, 12.05.2024
Hajo Schumacher, Jahrgang 1964, hat Journalistik, Politikwissenschaften und Psychologie studiert - und später an der Universität Duisburg-Essen promoviert. Seine journalistische Tätigkeit führte ihn von 1990 bis 2000 zum Spiegel, er hat Zeitschriften herausgegeben, er moderierte mehrere TV-Sendungen, trat an der Seite von Benjamin von Stuckrad-Barre - und macht den Funke-Podcast „Wir. Der Mutmach-Podcast“.  © IMAGO/Panama Pictures | IMAGO/Christoph Hardt

Wer sich hinter der Geheimidentität Achim Achilles verbarg, ist längst enthüllt: Hajo Schumacher, heute Chef-Kolumnist der Funke Zeitungen und journalistische Allzweckwaffe, egal ob es um Politik, Gesellschaft, Zwischenmenschliches oder eben um Sport geht. Wortgewaltig und meinungsstark, weshalb er einen Teil seiner Arbeitszeiten auch gern in Talkshows absolviert.

Und nun kommt sein erster Krimi heraus: „Nur der Tod ist schneller – Laufende Ermittlungen“ und spielt, wie sollte es anders sein, in der Berliner Läuferszene. Der Autorenname hat sich auf „Achilles“ verkürzt, dafür hat Schumacher sich einen zweiten Autor hinzugeholt: Michael Meisheit, nicht nur Schreiber von mehr als 350 Folgen der Lindenstraße, sondern auch Urheber von dutzenden anderen Drehbüchern und zwei Krimis.

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Das Gespann ergänzt sich gut, denn der erste Achilles-Krimi ist keineswegs nur die Geschichte einer heimtückischen Mordserie, sondern auch ein unterhaltsamer Lauf durch die Kulisse der Hauptstadt und ihrer Charaktere.

Und gleich, wenn man erfährt, dass der „laufende Ermittler“ nicht nur tatsächlich selbst ein aus der Form gekommener Marathonmann ist, der einst die Polizeieuropameisterschaft gewann, dass er nach einer Trennung kämpft und japst und strampelt, um wieder die Oberhand über seinen Körper und seinen Job zu gewinnen, ist an nicht mehr überrascht über seinen Namen: Peer Pedes, Kriminalkommissar Peer Pedes. Wer seinen Helden so nennt, hat vermutlich nicht vor, einen blutspritzenden Hardboiled-Kracher zu schreiben, sondern möchte eher unterhalten. Und das gelingt bisweilen ziemlich gut.

Ermittlungen sonntagsmorgens im Berghain

Auch wenn es anfangs nicht so spaßig erscheint: Ein Toter baumelt eines Sonntagmorgens von der Obernbaumbrücke – und rein zufällig joggt der auch beruflich leicht frustrierte Kommissar Pedes dort vorbei, was ihn dazu verleitet, gleich die Ermittlungen an sich zu reißen. Und es ist schon diese Szene kurz nach dem Auffinden des Todes, in der man denkt: Okay, das ist zwar ein Läufer-Krimi, aber hier geht doch etwas entschieden zu schnell vor sich. Denn der Kommissar maßregelt die Zeugen, inspiziert den Toten, lässt sich von einem Passanten kurz erläutern, dass das Opfer einen Stempel vom Berghain trägt – und noch bevor der Tatort richtig gesichert sein kann und die Zuständigkeiten geklärt sind, entschwindet der schnelle Peer noch in altrosa Läufermontur und ungeduscht zum Berghain, um dort selbst die Ermittlungen aufzunehmen.

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Das geht für einen deutschen Kommissar geradezu in Blitzeseile – und kommt leider auch ohne eine tiefere Zeichnung der Szenen und Charaktere aus. Was abermals ins Auge fällt, als Peer sich endlich gegen den Widerstand des Türstehers ins Berghain durchargumentiert hat. Denn die Schilderung der Atmosphäre in diesem wohl berühmtesten Club Europas bleibt doch recht oberflächlich – und vor allem nur grob skizziert als ein allzu freizügiges, drogengepudertes Babylon, das nach Sex und Urin riecht. Die Besucher hingegen erscheinen wie sinnentleerte Nachtschwärmer.

Chef der Mordkommission erlebt bei seiner Tochter eine böse Überraschung

Unter diesen macht Pedes zwei wertvolle Entdeckungen. Zum einen die, dass die Tochter des Leiters der ersten Mordkommission hier fröhlich ihre Lines schnieft. Zum anderen, dass es im Berghain eine Running Crew gibt, zu das Opfer namens Sam gehörte. Die Mitglieder dieses Laufteams scheinen nach dem Motto zu leben „Hart feiern, hart laufen“. Und sie sind, wie sich herausstellt, nicht nur Verdächtige in diesem Mordfall.

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Der Erzählstil, auf den sich Hajo Schumacher und Michael Meisheit hier eingegroovt haben, erinnert bisweilen an den von Tommy Jaud („Der Vollidiot“), liefert allerdings nicht dasselbe Pointen-Stakkato. Dafür funktioniert der Krimi auf mehreren Ebenen: Peer Pedes ist in seinem Denken angetrieben von läuferischem Ehrgeiz („Peer hat die Führung übernommen, was er in den vergangenen Jahren viel zu selten getan hat“, „Ermitteln ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“) – so wie es einst in seinen Kolumnen auch Achim Achilles war. Diese Denkweise überträgt er nun nicht nur auf seine Arbeit, sondern auch auf den Konkurrenzkampf im Polizeirevier. Schließlich wäre eigentlich der verhasste Kollege Koslowski der zuständige Ermittler im Fall des ermordeten Berghain-Läufers, aber dank seiner Informationen über die koksende Tochter des Leiters der ersten Mordkommission „erkämpft sich“ Peer die Leitung – erpresst sich wäre hier ein doch allzu hartes Wort.

So wird dieser Krimi eine meist kurzweilige Zurschaustellung der Mechanismen und Abgründe, die durch Konkurrenz entstehen, sowohl unter ehrgeizigen Sportlern und unter Arbeitskollegen, aber sogar unter Teammitgliedern, wie sich im Laufe des Falles immer deutlicher herauskristallisiert.

Berlin spielt eine wichtige Nebenrolle

Dass es nebenher noch um unseriöse Geschäfte mit Nahrungsergänzungsmittel geht und um die Verschmelzung der verschiedenen Welten von Leistungssport und Nachtleben, funktioniert wohl nur wegen des Schauplatzes so gut.

Und so ist Berlin ein nicht zu verachtendes Element dieses Romans, der zwischen Reichstag und Kanzleramt, Grunewald und Friedrichshain hin- und herhüpft, der zwischen Kiezkumpeligkeit und Luxusleben manövriert.

Man kann die Geschichte kaum aus der Hand legen, ohne den Eindruck zu behalten, dass der Erzählton eher von Reportage- und Drehbuchstil geprägt sind als von tiefergehender Beobachtung – und dass sich das immerhin 400 Seiten starke Buch auf fast jeder Seite für eine Verfilmung durch einen Kölner Privatsender empfiehlt. Denn dieser Fall schafft zwei Dinge: Man fühlt sich ganz gut unterhalten, lernt sogar ein, zwei Dinge über die Mentalität ehrgeiziger Hobbyläufer. Aber allzu viele tiefere Erkenntnisse wird man kaum mitnehmen.

Achilles: Nur der Tod ist schneller – Laufende Ermittlungen, Droemer, 400 Seiten, 15,99 €