Essen. .
Die Buchbranche wandelt sich. Der Mittelbau stirbt weg. Es bleiben die ganz Großen, die Branchenriesen – und in Nischen die ganz Kleinen, dank liebevoller Beratung und literarischem Anspruch.
Der Raum misst 45 Quadratmeter und ist umstellt von Kiefernholzregalen. Links Belletristik, rechts Kinderbücher, in der Mitte Arndt Decker. Seit zwölf Jahren behauptet sich die „Buchhandlung Decker“ in Kettwig: „Ich weiß“, sagt Decker, „was meine Kunden lesen!“ Wie zur Demonstration stapft nun ein Herr herein, drückt Decker wortlos einen Zettel in die Hand, der sagt: „Elizabeth George hätte ich, das andere muss ich bestellen, Herr Müller – morgen um elf?“ Der Herr nickt, schönen Tag noch! Dann kommt eine ältere Dame. Eine jüngere Dame. Noch eine. Und es ist noch nicht einmal Markttag!
Als Michael Fehst im April seine Buchhandlung am Mülheimer Löhberg eröffnete, bot er das Spektakel eines 24-stündigen Lesemarathons im Schaufenster. „Eine Buchhandlung ist wie ein Theater“, sagt Fehst. Seine Bücher-Bühne am Rande der City hat 100 Quadratmeter. Kronleuchter hängen, Krimis verstecken sich zwischen Revierkult, Margot Käßmann blitzt unter Tannen hervor. Ein Ehepaar lässt einpacken: „Den Engel, die Vase – ach, und noch das neue Buch von Dieter Moor.“
Verdrängungseffekte
Der Anfang war schwerer als gedacht. Beate Scherzer und Peter Kolling eröffneten die Essener Buchhandlung „proust – wörter und töne“ vor fünf Jahren in die Wirtschaftskrise hinein. Lesungen und Matineen veranstaltet „Proust“ in Steinwurfweite zum Hauptbahnhof; größere Namen – Herta Müller, Bernhard Schlink – füllten gar die „Lichtburg“. „Wir haben so tollen Zuspruch“, sagt Kolling, „dass es fast peinlich ist.“ Aber: „Die finanzielle Decke wird immer dünn bleiben.“
Es gibt sie noch, die kleinen Buchhändler. Es wird sie auch weiterhin geben, am Rande der Stadt(teil)-Zentren. Was stirbt, ist der Mittelbau. Schuld daran ist weniger das Internet, bisher macht die Buchbranche hier gerade mal 12 Prozent ihrer Umsätze. Schuld daran sind die Branchenriesen. Sie bedrängen die Mittelständler, denn: „Diese Unternehmen haben Häuser in sehr guten Einkaufslagen, die Standorte sind deshalb sehr attraktiv für größere Häuser oder Ketten“, sagt Claudia Paul, Sprecherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
Wie Thalia einen Familienbetrieb in Österreich be- und verdrängte, machte in diesem Sommer Schlagzeilen. Ebenso wie das Geraune um „Werbemittelzuschüsse“, die die Ketten von den Verlagen verlangen. Oder wie das Gespenst der „Auslistung“: So heißt das, wenn Verlage nicht mehr im Zentrallager vorkommen – weil sie in Verhandlungen nicht genug Zugeständnisse machten. Besonders schmerzlich sei dies bei Amazon, sagt der Mitarbeiter eines Verlags: Weil viele den Händler als Informationsportal nutzten. „Wenn da steht, ‘zur Zeit nicht vorrätig’, versuchen die Kunden es nicht anderswo.“
Das „Buch des Monats“
Seit anderthalb Jahren ist Mirjam Berle Unternehmenssprecherin bei Thalia, die erste: Sie sieht sich als Teil einer neuen Strategie der Offenheit. Thalia wuchs seit 2001 von 88 Filialen auf knapp 300. Nun ist Größe an sich nicht verwerflich. Thalia aber steht im Ruf, die Marktmacht unfein auszunutzen. Kein Verlag kann es sich leisten, von Thalia nicht verkauft zu werden. Stimmt es, dass die Verlage, die einst vom Handel mit bis zu 70 Prozent am Umsatz beteiligt wurden, aus Verhandlungen mit unter 50 Prozent nach Hause gehen müssen? „Natürlich verhandelt man manchmal hart“, sagt Berle. „Jeder möchte doch das Beste für sich herausholen.“ Stimmt es, dass es 50 000 Euro kostet, bei Thalia „Buch des Monats“ zu werden? „Das ist so eine Zahl, die alle immer brav abschreiben“, weicht Berle aus. „Das Buch des Monats ist eine Werbeform. Die Kosten teilt man.“
Der Buchmarkt erlebt jenen Umbruch, den der übrigeEinzelhandel hinter sich hat. Was bedeutet die Konzentration für Regionalverlage? Einst hatten Klartext in Essen und Grafit in Dortmund 14 Ansprechpartner in 14 Städten, heute zwei. „Es ist manchmal nicht so einfach wie früher, einen Titel aus der Region unterzubringen“, sagt Grafit-Leiterin Ulrike Rodi. Thalia-Filialisten können ein Drittel des Sortiments frei ordern.
Beratung kostet: Zeit
Zudem arbeiten heute weniger Menschen in immer größeren Läden, so Klartext-Gründer Ludger Claßen: Der klassische Verkaufsweg – „man begeistert die Buchhändler, die begeistern ihre Kunden“ – falle weg. Rodi: „Die haben gar keine Zeit, gründlich Beratung zu machen.“
Michael Fehst hat den Engel, die Vase und das Buch verpackt. Er hat mit einer Dame einen Kalender ausgesucht, mit einer anderen über ihren Zahnarzttermin gesprochen. „Nur Bücher verkaufen“, sagt er, „das funktioniert heute nicht mehr so.“
Info: Der Markt in Zahlen
910 Millionen Euro Umsatz hat die Hagener Thalia Holding im Jahr 2009 laut „Buchreport“ gemacht, dicht gefolgt von der Hugendubel-Weltbild-Gruppe DBH (743 Mio Euro Umsatz). Die Mayersche Buchhandlung (Aachen) machte 170 Mio Euro Umsatz.
Die mittelgroßen Betriebe hingegen schrumpfen. Vergleicht man die Jahre 2000 bis 2008, dann verschwand ein ganzes Drittel (32,5 Prozent) der Händler mit fünf bis zehn Millionen Umsatz jährlich.
Zwar kosten Bücher dank der Preisbindung in allen Läden dasselbe. Die Händler verdienen dennoch unterschiedlich viel daran: Je mehr Bücher sie kaufen, desto günstigere Konditionen können sie mit den Verlagen aushandeln.