Essen/Korschenbroich. Wie wenig darf man anziehen bei Hitze am Arbeitsplatz? Wir sprachen mit Knigge-Expertin Linda Kaiser über den richtigen Kleidungsstil.
Kommt ein Dax-Vorstand in Shorts und Hawaii-Hemd zur Hauptversammlung… Frage: Wann kommt hier jetzt der Witz? Jeder merkt wohl, dass die Vorstellung eines Topmanagers in kurzen Hosen ein gewisses komisches Potenzial hat – oder zumindest irritiert. Denn jedes Jahr spätestens im Sommer stellt sich den Menschen mit Bürojobs die Frage: Darf ich in kurzer Hose oder im kurzen Rock zur Arbeit gehen? Darf ich Flip Flops tragen? Und: Wie kann ich stilvoll gekleidet sein – und trotzdem nicht ständig in Schweiß ausbrechen? Stilberaterin Linda Kaiser, Stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, sprach mit Georg Howahl über den richtigen Dresscode zwischen Lockerheit und vollendeter Form.
Frau Kaiser, der Sommer ist da, alle schwitzen. Ist die kurze Hose am Arbeitsplatz ein No-Go?
Kaiser: Kurze Hose ist ja ein sehr dehnbarer Begriff. Sofern die kurze Hose den Anflug von Freizeit- oder Funktionskleidung hat, ist sie sicherlich nicht angebracht. Damit meine ich zum Beispiel diese beliebten 7/8-Cargohosen, gern mit hässlichen Karos, zu denen definitiv kein Oberteil passt, egal was Sie im Kleiderschrank haben. Damit meine ich Sporthosen jeglicher Art und Weise. Es gibt kurze, abgeschnittene Jogging- oder Jeanshosen, das ist sicherlich nicht bürotauglich.
Ist die kurze Hose damit definitiv raus aus der Auswahl?
Das kommt drauf an: Wenn Sie eine der klassisch geschnittenen Bermudas haben, zu denen es mittlerweile sogar Anzugkombinationen gibt, und Ihr Arbeitgeber oder Ihre Arbeitgeberin sagt: Das ist in Ordnung, dann ist es in Ordnung. Oder anders: Wenn Sie keinen Kundenverkehr haben und Ihre Kollegen sind damit einverstanden, dann ist es in Ordnung. Aber diese Dinge müssten erst mal abgeklärt werden. Erstens: Was sagt der Arbeitgeber? Ist es erwünscht oder nicht? Zweitens: Was sagt der Kollegenkreis? Und der dritte Punkt: Wie ist dieses Kleidungsstück tatsächlich beschaffen hinsichtlich Stoff und Schnitt? Das zu beachten gilt natürlich für Männer wie für Frauen.
Wenn wir uns anschauen, was Frauen im Sommer im Büro tragen: Wie kurz darf ein kurzer Rock sein?
In diesem Falle lautet die Empfehlung: knieumspielend. Ich rate den Damen immer, wenn sie Röcke kaufen, sich damit mal hinzusetzen und zu schauen, wie viel Bein im Sitzen freigelegt wird. Das dürfen immer noch mal ein paar Zentimeter mehr sein. Dann gibt es die Frage: Wie viel Selbstbewusstsein habe ich? Ich möchte niemandem verbieten, freizügige Kleidung zu tragen, aber es ist eine gewisse Leistung, damit umzugehen. Das gilt auch für exponierte Farben.
Ist Mut zur Farbe grundsätzlich eher gefährlich?
Wenn ich einen pinkfarbenen Hosenanzug oder ein Kleid trage, falle ich auf. Dann darf ich mich nicht beschweren. Die Leute schauen mich an, das gehört einfach dazu. Entweder kann ich damit umgehen, oder ich bleibe halt beim bedeckten Blau. Das kommt immer ein bisschen auf die Persönlichkeit der Frau an, farblich auffällige Kleidung kann natürlich auch helfen, sichtbarer zu werden.
Was ist mit anderen potenziellen No-Gos? Gehen Hawaii-Hemden und Flip Flops?
(lacht) Wenn es sich um einen IT-ler handelt, der den ganzen Tag im tiefen Keller sitzt und niemanden zu Gesicht bekommt, außer morgens, wenn er sich seinen Kaffee holt, und abends, wenn er dem Pförtner auf Wiedersehen sagt, dann ist es völlig egal, was er trägt. Der kann in Flip Flops und Hawaii-Hemd kommen.
Es ginge also nur, wenn man quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeitet?
Wenn Kundenverkehr mit dazukommt, also derjenige auch mal jemanden empfangen muss, oder er kommt zu Kunden ins Haus, wird es kritischer. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin repräsentieren das Unternehmen nach außen. Und das sollte natürlich so aussehen, dass der Kunde sich angenehm empfangen fühlen kann. Wenn ich eine Versicherung verkaufen möchte, ist ein Vertrauensverhältnis mit kurzer Hose vielleicht nicht unbedingt leicht zu erreichen. Das Miteinander ist immer von gegenseitigen Erwartungshaltungen gestützt. Und wenn ich jemanden sehe, der mir etwas Teures verkaufen möchte, aber auf sich selber keinen großen Wert legt, dem vertraue ich vielleicht auch meine Werte nicht an.
Gilt die Faustformel: Je höher die Position, desto formaler die Kleidung? Wie passt das zu lockeren Unternehmern wie Mark Zuckerberg, Elon Musk, Jeff Bezos oder Richard Branson? Oder einst zu Steve Jobs mit dem schwarzen Rollkragenpullover?
Gerade diese Super-Milliardäre sind besonders schillernde Persönlichkeiten, die fast schon wie Popstars daherkommen. Die haben sich ihren Signature-Look rausgesucht, sind aber nicht vergleichbar mit normalen Topmanagern. Die haben doch ganz andere Kontakte, ganz anderen Umgang und müssen schon ein bisschen mehr auf formale Kleidung achten. Aber ich glaube: Gerade diese Managerebene hat den Vorteil von bequemer, funktionaler Bürokleidung verstanden. Und es ist das Schöne, dass man mit ganz kleinen Stellschrauben auch Individualität und Authentizität erzeugen kann. Zum Beispiel in der Art und Weise, wie ich im Sommer meine langen Hemdsärmel hochkrempele und bewusst auf das kurzärmlige Business-Hemd verzichte.
Wie steht es mit etwas freizügigerer Kleidung? Manche Frauen tragen ja gern Trägertops…
Alles, was sehr viel Haut freilegt, ist im Berufsleben nicht gerne gesehen und – wenn Sie so wollen – unangemessen. Das gehört in den Freizeitbereich, Bikini-Oberteile, Bandeau-Tops, Carmen-Ausschnitte und natürlich bauchfreie Oberteile...
Welche Regeln gelten für Schmuck?
Grundsätzlich spricht man im Businessbereich von fünf Teilen Schmuck oder Accessoires. Wenn Sie das entsprechend durchzählen, dann zählen Manschettenknöpfe beim Herrn beziehungsweise und Ohrringe bei den Damen jeweils einzeln. Da bleibt da gar nicht mehr viel Gestaltungsfreiraum übrig. Der Ehering zählt tatsächlich nicht mit. Wenn Sie beachten: Mit Manschettenknöpfen und einer Armbanduhr hätte ein Mann schon drei Zähler weg, dann vielleicht noch ein Glücksarmband und vielleicht noch eine auffällige Brille dazu, da sind sie gut ausgestattet mit entsprechendem Schmuck. Bei Frauen lässt sich das gut vergleichen, da nimmt man sich eher zurück, reduziert die Größe der Schmuckteile im Vergleich zu einer Abendgarderobe oder zu einem Freizeitlook.
Was ist mit der Krawatte? Ist sie tatsächlich ein wenig auf dem Rückzug?
Es ist schon seit längerem ein sehr starker Trend, dass man auf die Krawatte verzichtet. Was ich sehr schade finde, denn eine Krawatte ist immer ein schönes, einfaches Element gewesen, um ein bisschen Persönlichkeit und eigenen Geschmack reinzubringen. Als Alternative, gerade für die Anzugträger, kann man mit Einstecktüchern arbeiten, um Farbe ins Outfit zu bringen – wenn es zum Typ passt. Ansonsten reguliert man das über die Beschaffenheit und Farbe des Hemdes.
Sind Ihnen als Stilberaterin auch Fehlgriffe untergekommen?
Natürlich. Das bringt jeder mit, weil man auch der eigenen Bequemlichkeit und anderen Faktoren unterliegt. Aber richtig schlimme Dinge kommen selten vor. Und ich arbeite dann auch gerne am Feinschliff und kläre darüber auf, wie etwas wirkt.
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