Gelsenkirchen. Böser Blick aufs ländliche Leben: An Gelsenkirchens Musiktheater hinterfragt „Die verkaufte Braut“ auch dörfliches Miteinander. Viel Applaus
Wie oft hat uns das Ende dieser Oper mit ihrem hässlichen Titel versöhnt; Ehe ist doch kein Kuhhandel! So bekam Marie, „Die verkaufte Braut“, stets den Richtigen: ihren Hans. Aber ehe am Musiktheater im Revier (MiR) der Vorhang fällt, steigt Marie auf den Tisch, an dem die Männer saufend triumphieren, und zeigt mit einem Wink der Sehnsucht auf Wenzel, den schwachen Außenseiter.
Sind wir am Ziel, ist es das falsche? Sonja Trebes inszeniert die tschechische Nationaloper mit jenem weiblichen Blick, der der Geschichte einen dicken Trauerrand auftupft. Bei Trebes endet Liebe nicht in der Freiheit, denn es gibt keine Wahl. Und wenn der prachtvolle Sternenhimmel dieser böhmischen Kirchweih-Nacht niedersinkt, wartet dahinter in muffigem Sepia-Ton längst die starre Ahnengalerie dörflicher Brautpaare. So war es immer, so wird es sein. Dorf ist das andere Stichwort, das in dieser einfallssatten Regie sehr wesentlich den Ton angibt. Putzige Folklore ist die Ausnahme, hier wird geschlachtet, der Nachbar bis unter die Bettdecke beobachtet, jedes Lachen ist eines der Freude über den Schaden des Anderen. Fast ein Schreckensort. Dass man ihm schwerlich entkommen kann, symbolisiert in Marialena Lapatas Bühnenbild nicht nur die tote Haltestelle, an der schon lange kein Bus mehr hält. Die kleinen Häuser der Hauptfiguren sehen wir im Querschnitt: Privatheit ausgeschlossen.
Premiere am Musiktheater im Revier für Smetanas „Die verkaufte Braut“
Zwei Brüder – Hans ausgestoßen, Wenzel im doppelten Sinne zurückgeblieben – ein Mädchen, die Eltern autoritär oder im Fall von Marie mit den Scheuklappen des Biederen ausgestattet. Das ist die Lage. Dass es um Geld geht, zeichnet Trebes’ Regie mit dickem Strich. Im Brautmarkt am Anfang etwa: eine Miss-Wahl mit Schautafeln, die zeigen, welche wie viele Gutshöfe, Kühe, Hühner in die Ehe bringt. Und Kecal (Michael Tews), der Kuppler, stinkt nicht nur nach Kohle: Am Zuhälteranzug klebt auch Kuhmist.
So oktoberfestlich samt Seppelhosen (Kostüme Julia Reindell) der Abend ausgestattet ist, so ungemütlich männerbündlerisch kommt einem dieses Landleben vor, auch das Volk (fantastisch in Form: der Opernchor) züngelnd gewaltbereit. Allein im missratenen Zirkus-Auftritt scheitert Trebes mit einem platten Trash-Alptraum. Insgesamt eine gute, vielschichtige Arbeit – und doch: Das Opernhaus der Zukunft wird sich überlegen müssen, wie es einem medial veränderten Publikum lange Dialogszenen, die vor 200 Jahren begierig aufgenommen wurden, künftig serviert. Mit fast drei Stunden ist der Abend zu lang.
Begeisternde Sänger wie Heejin Kim und Tobias Glagau reißen das Publikum mit
Zur Musik: Lauter Jubel für Heejin Kims Marie. Was das NRW-Opernstudio an faszinierenden jungen Stimmen hervorbringt! Die überraschend samtige Reife ihres Soprans gibt dem Liebreiz des Mädchenhaften einen rasant doppelten Boden. Imposant: Martin Homrich geht den Hans mit Wagnerschen Heldenfarben an, ganz ungefährdet sind die Spitzentöne nicht. Köstlich die Kauzparade der Brautmütter Almuth Herbst und Anke Sieloff.
Tobias Glagaus großer Abend
Seine vielleicht schönste Rolle in vielen MiR-Jahren findet Tobias Glagau. Wie sein wendiger, klangschöner Tenor dem Angstmenschlein Wenzel irrlichterndes Leben einhaucht, ist eine rührende Charakterstudie. Neuzugang Peter Kattermann gibt als Dirigent seine Visitenkarte ab. Die Wärme, die Sinnlichkeit, den romantischen Tiefgang unter der folkloristisch pulsenden Oberfläche leuchtet die Neue Philharmonie Westfalen wissend aus. Die Abstimmung mit dem Bühnengeschehen kann allerdings an Präzision deutlich zulegen. Freundlicher Applaus im Großen Haus.