Essen. Shakespeares „Sommernachtstraum“ kommt in Essen mit Komödienschwung und lässig aktuell daher. Begeisterter Premierenapplaus, trotz leiser Mankos.

Den Wald hat man in Shakespeares Sommernachtstraum zuletzt vor lauter Regie-Einfällen kaum gesehen. Mal glich dieses Epizentrum erotischer Verwirrungen einem Sado-Maso-Schuppen, mal wirkte es wie Shakespeares kleiner Horrorladen. Von derlei grellen Deutungen will Tobias Maternas temporeiche und komödiantische Inszenierung im Essener Grillo-Theater nichts wissen. Der leere, von weißen Vorhangwänden umringte Bühnenraum erinnert mit seinen Liegestühlen bestenfalls an ein Reichen-Ressort, wo Theseus noch die Folgen der letzten Beauty-OP auskuriert, bevor er mit Hippolyta zum Traualtar schreitet.

Jan Hendrik Neidert und Lorena Diaz Stephens sorgten für Bühne und Kostüme

Die Liebe ein Kampf, das Geschlecht ein Spiel: Dennis Bodenbinder (Lysander) und Lene Dax (Hermia).
Die Liebe ein Kampf, das Geschlecht ein Spiel: Dennis Bodenbinder (Lysander) und Lene Dax (Hermia). © TUP | Martin Kaufhold

Auf diesem Luxusdeck des Lebens kümmern sich die Handwerker nun als Barmann, Poolboy und Liftboy um das Wohlergehen der Erlauchten, die mit sich und ihren Liebesirrungen schon genug zu tun haben. Hermia ist verknallt in Lysander, soll aber eigentlich den ebenfalls sterbensverliebten Demetrius nehmen. Den wiederum würde Helena gerne zu ihrem Lover machen. Und der emotionalen Verwicklungen nicht genug, liegen im Shakespeareschen Liebes-Forst auch noch ein eifersüchtiger Elfenkönig (stolz im langen Reifrock: Thomas Büchel) uns seine Titania im Clinch miteinander. Von den Folgen des Fremdgehens wusste man auch im 16. Jahrhundert schon einiges. Mit den Tücken geschlechtlicher Zuordnung lässt sich in dieser Komödie der vertauschten Identitäten auch gut spielen.

In Maternas Inszenierung jedenfalls haben die Frauen nun nicht nur Hosen an (Bühne und Kostüme: Jan Hendrik Neidert, Lorena Diaz Stephens). Sie sind es auch, die sich gegen Vaters Willen für den Mann ihres Herzens entscheiden. Die Umdeutung der Geschlechterrollen gelingt Materna subtil, indem er die männlichen und weiblichen Texte der beiden jungen Liebespärchen konsequent dem jeweils anderen Geschlecht zugeteilt hat. Das Stück rückt so ohne bemühte Gegenwartsbezüge zumindest an den aktuellen Geschlechterdiskurs heran.

Stefan Migges Zettel, Stefan Diekmanns Flüsterlöwe, Jens Wintersteins Spielleiter – lauter Kabinettstückchen

Den nimmt die gekonnt dilettierende Handwerker-Laienspieltruppe parodiefreudig auf und macht das Rollenfindungsgeplänkel über die Frage, wer denn hier nun Mann, Frau, Mond oder Wand spielt, zu einer komisch-ironischen Einlage über das Theater und seine neuen Diversitätsvorgaben: „Ich stelle mir da was Genderfluideres vor!“ Stefan Migges zur begnadeten Rampensau aufgedrehter Zettel, Stefan Diekmanns zaghafter Flüster-Löwe, Jens Wintersteins staubtrockener Spielleiter – alles kleine Kabinettstückchen, wie Ingrid Domanns stillleidender Einsatz als menschliche Trennwand. Das Stück im Stück bekommt in Essen dank einer komödiantisch glänzenden Truppe ganz neuen Schwung.

Mit den Abgründen und Alpdrücken, den erotischen Trieben und zehrenden Begierden weiß Maternas Inszenierung hingegen nicht ganz so viel anzufangen. Die Hermia von Lene Dax immerhin ist eine Wucht, wenn sie sich wie ein wollüstiger Zitteraal über Lysander (Dennis Bodenbinder) hermacht – während Trixi Strobels Helena einen zudringlichen Verehrer schon mal mit dem Taser zähmt und der brav gescheitelte Demetrius (Alexey Ekimov) genug mit seinem Stofftier zu tun hat.

Janina Sachau turnt eine Titania, während der Esel Grönemeyers „Männer“ singt

Die gewagteste Turnübung des Abends ist ein wie im Spinnennetz zappelnder Zettel, an dessen rosafelligen Plüschhaar-Lenden die von Janina Sachau gelenkig geturnte Titania hängt, während der arme Esel noch ein paar Zeilen von Grönemeyers „Männer“ singen muss. Der emotionale Absturz folgt natürlich auf dem Fuße und macht Schluss mit der grotesken Traumfantasie, an deren Ende alle Paare dann doch zueinander finden.

So greifen alle Rädchen wie vorgesehen ineinander, was auch zur Rolle des Puck passt, der mit Jan Pröhl wie ein von all den Kreuz-und-quer-Liebschaften genervter Hausgeist durch die Szenerie schlurft und statt Zauberblumenelexiers nun einen Scheinwerfer samt Fernbedienung zur Hand hat.

Die Magie der Liebe funktioniert hier auf Knopfdruck. Shakespeares Feinmechanik der Gefühle hätte freilich noch etwas mehr inszenatorisches Tuning und der Text stellenweise auch lautere Deklamation vertragen. Das Premierenpublikum applaudierte gleichwohl begeistert.

Ein Sommernachtstraum, Grillo-Theater, Theaterplatz, ca 2. Stunden, 40 Minuten inkl. Pause. Karten und Termine: Tel. 0201-8122-200